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Andy Lehmann Judge Spring battle

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Andy Lehmann – Aus dem Alltag eines Snowboard Judges

Snowboard Judges sehen sich oftmals starker Kritik ausgesetzt. Wir haben mit Andy Lehmann hinter die Kulissen geblickt um zu verstehen, wie der Judging Alltag tatsächlich ausschaut.

Titleshot: Andy Lehmann als Headjudge beim Spring Battle. Im Hintergrund: Bernd Egger.
Foto: Markus Rohrbacher

Wir alle kennen die typischen Contest Bilder, sei es die Natural Selection oder Olympia:
Rider, die alles geben, unten ankommen, sich feiern lassen und gespannt auf ihren Score warten. Nach ein paar Sekunden erscheint dann eine ominöse Zahl, die entweder völlige Ekstase oder maßlose Enttäuschung bei Ridern, Coaches und Zuschauern auslöst. Aber wie entsteht eigentlich ein Score mit dem Runs bewertet werden? Wie schaut der Alltag und wie die Vorbereitung eines Judges aus? Besonders nach der Kritik, die die Judges nach Max Parrots Kneegrab bei den olympischen Slopestyle Finals weltweit erfuhren, dachten wir es wäre mal an der Zeit uns mit jemandem zu unterhalten, der wirklich Ahnung vom judgen hat:

Andy Lehmann
Andy Lehmann – US Open. Foto: Jesse Lynn Dawson

Andy Lehmann war früher selber Pro und ist bei mehreren Big Air, Pipe und Slopestyle Contests mitgefahren. Von den US-Open bis zur WM 2021 in Aspen hat er nicht nur als Judge viele große Contests begleitet, sondern war als Headjudge schon öfter für die Entscheidungen des gesamten Panels verantwortlich, so zum Beispiel beim Spring Battle und Total Fight. Bevor Andy in seinen gelernten Beruf als Zimmermann zurück wechselte, war er unter anderem als Team Manager bei Vans tätig und berät nach wie vor mehrere Brands und Events. Wir haben uns mit Andy getroffen und uns mit ihm über’s judgen, die richtigen Fernsehbilder und den Alltag eines Judges unterhalten.

Hi Andy, seit wann bist du jetzt schon als professioneller Judge unterwegs?

Ich judge seit 16 Jahren. Wir arbeiten zwar hoch professionell, leben kann man davon aber nicht.

Wie wird man eigentlich Snowboard Judge?

Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten – ich wurde während einer Verletzung dazu überredet es mal zu versuchen und bin dabeigeblieben und reingewachsen. Ich konnte mir das nie vorstellen, doch kann man dabei auch viel bewegen und den Fahrern ein gutes Gefühl vermitteln. Allgemein wäre es am besten an einer nationalen Judge Clinic teilzunehmen, um herauszufinden, ob man dafür auch geeignet ist.

 

Gibt es eine Art Ranking für Judges?

Ja, das gibt es tatsächlich! Wir müssen für internationale Tätigkeiten spätestens alle 2 Jahre eine 3-tätige Fortbildung mit anschließender Prüfung in Halfpipe, Slopestyle und Big Air ablegen. Diese Ergebnisse werden intern gerankt.

 

Jetzt zu Olympia: Wieviele Judges sind dort eigentlich unterwegs?

Bei Olympia ist es nichts anderes wie bei einem World Cup. Für Big Air und Pipe sind es 6 Scoring Judges plus Head Judge. Für Slopestyle ist es dann ein wenig komplizierter: Jeweils 2 Judges pro Section (3 Sections insgesamt) plus 3 Judges für Overall Impression (OI) plus noch ein Head Judge. Das sind insgesamt dann 10 Judges. Die Sections haben eine Gewichtung von 60%, Overall Impression noch 40%.

 

Andy LehmannAndy Lehmann 2014 – Michalchuck Method.
Die Frage, ob Judges selber überhaupt snowboarden können, sollte damit geklärt sein.
Foto: Matthias Fend

‚Ich konnte mir das nie vorstellen, doch kann man dabei auch viel bewegen und den Fahrern ein gutes Gefühl vermitteln.‘

Wie wurden die Judges dort denn ausgewählt?

Die Judges bieten sich über einen langen Zeitraum durch Erfahrung, Talent, Ranking, Verlässlichkeit usw. an. Die jeweiligen Nationen nominieren dann hoffentlich ihren besten Mann und der Judge Coordinator und der Head Judge wählen dann die bestmögliche Mannschaft (Panel) aus.

Wie sieht der Alltag an einem Contesttag bei Olympia eigentlich aus für einen Judge?

Dieses mal leider gar nicht so gut! Durch die Corona-Auflagen ist man so ziemlich an sein Hotel und den Judge-Container gebunden. Das heißt man pendelt zwischen Hotel, Container und Venue , also dem Park, und schaut zum Beispiel alle Trainings an. Das ist sehr wichtig, um zu sehen was passieren könnte und wo man ungefähr die Punkte ansetzen müsste wenn die Qualifikation ansteht. Dann bewertet man natürlich die ganzen Qualifikationen und Finals. Im Grunde ist man jeden Tag gut beschäftigt, da es ja 3 Disziplinen und jeweils noch Damen und Herren gibt. Ohne Corona kann man seine Freizeit nutzen um sich das jeweilige Land ein wenig anzuschauen oder selber snowboarden zu gehen. Das war zum Beispiel letztes Jahr bei der Weltmeisterschaft in Aspen ein ziemlicher Volltreffer!

Hört sich nach durchgetakteten Tagen an. Wie bereitet man sich dann eigentlich auf so einen Wettkampf als Judge vor? 

Eine gesonderte Vorbereitung gibt es nicht wirklich. Jeder Judge hat eigentlich so großes Interesse am Snowboarden, dass er sich das ganze Jahr über alle Informationen und Neuigkeiten aus den sozialen Netzwerken holt und ansieht. Dazu kommt die jährliche Fortbildung an der sowieso fast jeder teilnimmt, obwohl man nur jedes 2. Jahr müsste. Die eigentliche Vorbereitung findet dann während dem vollen Contest-Kalender von Oktober bis Februar statt.

 

Und wie kommt der Score bei einem Slopestyle Run letztendlich zustande?

Wie vorher schon angesprochen ist es wichtig, dass alle Judges alle Trainings anschauen. Dabei findet man heraus wo sich das Niveau für diesen Wettkampf hinbewegt. Deswegen sind auch die Punkte für ähnliche Runs bei unterschiedlichen Veranstaltungen nicht immer gleich! Punkte sind nur Anhaltspunkte für Judges um das Ranking zu ermitteln. Da kann auch mal ein Fahrer mit nur 81 Punkten gewinnen, da wir eventuell entsprechend dem Fahrerfeld ein höheres Niveau erwartet hätten. Aber lieber so, als in den Punkten stecken zu bleiben und keinen Platz für noch folgende Fahrer zu haben.

Also: Die Section Judges vergeben ihre Punkte. Jeder Judge für jedes Obstacle 0 bis 100 Punkte 

Pro Obstacle wird dann der Durchschnitt aus den beiden Judges/Scores genommen und entspricht 10% des gesamten Scores. 6 Obstacles mal 10% ergeben 60% für die Sections.

Die Overall Impression Judges judgen den kompletten Run! Das ist wichtig, um die Variationen beurteilen zu können und eventuelle Fehler (Reverts, Hand Touches usw.) zwischen den 3 Sections zu sehen. Variations sind ein Judge Kriterium und beinhalten verschiede Drehrichtungen und Grabs in den einzelnen Sections. Die 3 Overall Impression Judges vergeben dann auch jeweils 0 bis 100 Punkte für den Run und haben 40% des gesamten Scores, also 13,33% pro Judge. Das ganze rechnet dann ein Computer aus und warnt uns auch vor Punktegleichheit (TIE); auf dem Bildschirm hat dann jeder Judge sein eigenes und auch das gesamte Ranking sichtbar.

Andy Lehmann Method
Andy Lehmann, Method in Flachauwinkl – Foto: Sophie Kirchner

‚Wenn der Fahrer unten ankommt, sollten die Punkte schon eingetippt sein.‘

Ok. Steck also einiges an Mathematik hinter den Scores. Obwohl die Judges ja direkt vor Ort sind, judgen sie ja basierend auf einer Videoübertragung. Ist das dieselbe wie wir Zuschauer auf unseren Bildschirmen sehen?

Aufgrund der Länge des Kurses ist nicht alles einsehbar und auch das Wetter ist nicht immer optimal. Deswegen sitzen wir mit der modernen Technik in einem Container und bekommen die Bilder geliefert. Meistens sind das die gleichen, aber nicht immer und auf jeden Fall in anderer Form! Wichtig wäre es schon im Vorfeld während des Trainings gute Bilder zu bekommen um für den Wettkampf üben zu können. Das funktioniert so gut wie nie und leider auch nicht in Peking bei den olympischen Spielen! Dabei kann man neben der Übung auch zusammen mit dem Producer die besten Winkel und Ansichten einstellen. Dadurch minimiert man das Risiko zum Beispiel eventuell einen Grab durch unvorteilhaften Winkel zu verpassen…! Höchst kritisch sind auch Schnitte in der Luft oder auf einem Rail während eines Tricks! Bei Live Übertragungen bekommt man so gut wie nie eine Zeitlupe geliefert, die Zuschauer zuhause aber schon und davon viele! Für eine gute Show nimmt man dann vielleicht ein fehlerhaftes Ergebnis in Kauf indem man uns die wichtigen Informationen und Bilder nicht liefert.

Haben Judges dann eigentlich eine Art Replay wenn es Unsicherheiten gibt? Beim Fußball können sich Schiedsrichter ja beliebig oft Slow Mos und verschiedene Perspektiven anschauen sobald es kritisch wird. 

Das gibt es und es funktioniert auch wirklich gut inklusive Lupenfunktion. Bei World Cups benutzen wir es auch oft um uns abzusichern. Bei Live Übertragungen bleibt durch die Produktion aber keine Zeit dafür um wichtige Situationen abzuklären.

 

Apropos Fernsehbilder: Wir reden ja von einer Liveübertragung. Wieviel Zeit habt ihr eigentlich um einen Score zu entscheiden?

Eigentlich gar keine! Wenn der Fahrer unten ankommt sollten die Punkte schon eingetippt sein. Das geht natürlich nicht, da wir alles stenografisch mitschreiben um uns im Nachhinein rechtfertigen zu können und dann jeden Run inklusive allen Tricks mit allen anderen im Kopf vergleichen müssen. Das sind abartig viele Tricks in vielen Runs abzuwägen mit mindestens 4 bis 7 Kriterien, z. B. Difficulty, Execution, Variations, Amplitude, Landing, Use of course, Risk …

Werdet ihr dabei von einer Software unterstützt oder schreibt ihr per Hand mit?

Wir schreiben stenografisch mit Hand alle Tricks mit, inklusive aller Instabilitäten oder Besonderheiten. Die Software ist rein für die Punkte und das Ranking zuständig. Hier mal beispielhaft stenografische Mitschriften von der WM in Aspen:

 

Run anschauen, live und quasi blind mitschreiben: Steno Sheet von Andy Lehmann
Result sheet von Aspen 2021 – Andy Lehmann

 

Schaut stressig aus…
Zum Schluss nochmal ein Fußballvergleich: Bei jeder Entscheidung die ein Schiedsrichter trifft, kann er mit Pfiffen oder sich beschwerenden Spielern rechnen. Kriegt ihr Judges den Druck zu spüren, unter dem die Fahrer inzwischen bei solchen Contests stehen? Immerhin geht es meistens auch um viel Geld für die Rider und deren Entourage.

Mit Fußball kann man uns nicht vergleichen! Natürlich leben alle Beteiligten, außer den Judges, davon und nehmen die Sache ernst (auch die Judges). Es ist bei weitem nicht so viel Geld im Spiel, aber die Enttäuschung bekommen wir trotzdem auch zu spüren! Die meisten Fahrer und Trainer sind echt ok und nutzen die Möglichkeit, um mit uns über Dinge zu sprechen, die sie eventuell nicht verstehen. Konstruktive Kritik nehmen wir und auch die andere Seite gerne an. Leider können einige mit ihrer Enttäuschung nicht richtig umgehen oder reflektieren und greifen uns dann persönlich an. Via Social Media ist das dann die richtig feige Art und Weise. Selbst Unbeteiligte springen gerne auf den Zug auf und diffamieren Judges im Netz, da manche Aussagen für sie Sinn machen. Dass wir aber leider schlechtere Bilder zum Bewerten bekommen als der entspannte Zuschauer zuhause ist die Tragik an der Sache! Dann bist du einem Shitstorm ausgeliefert obwohl du für eine lächerliche Bezahlung dein Bestes für Snowboarding gegeben hast!

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Und nur weil’s so schön ist:
Hier noch ein paar Shots von Backflips, die Andy in die Oberbayerische Landschaft geschraubt hat, bevor er Zimmermann war. Anno 1992, im Gründungsjahr des MBM.
Die Klamotten, die Boots, der Stance, die Haare, Fanatic Board, Guy in the Sky. Pure Retropoesie eben.

Lieber Andy, vielen Dank!

 

 

Andy Lehmann 1992
Andy Lehmann Backflip bs grab 1992 Zugspitze - Foto: Michael Mayer
Andy Lehmann 1992
Andy Lehmann Backflip bs grab 1992 Zugspitze - Foto: Michael Mayer
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