Ich kann mich nicht mehr genau an jede Einzelheit erinnern, aber ich weiss noch, dass es ein genialer Snowboard-Trip war. Kein Witz, vielleicht sogar der beste, auf dem ich jemals dabei war. Es fing mitten im Winter mit einem Anruf meines Freundes und Nitro-Teammanagers Tonino Copene an. Er erzählte mir, dass Jeremy Jones die Absicht hatte, einen Motorrad-Trip zu organisieren. Allerdings nicht mit einem alten Dreigang-Hobel ins Grüne kriechen, sondern mit männlichen Motorrädern, Benzin verbrennenden, Luft verpestenden und höllisch lauten Harley Davidsons, über den Asphalt brettern.
Der Plan war, im April von Salt Lake City in Utah ins kalifornische Gebiet Northstar und zurück zu fahren. Eine „gemütliche Vergnügungsfahrt mit ein paar Skatepark-Stopps hier und da sowie ein paar Fotosessions im Frühlings- Slush“. So viel wurde mir verraten und ich war begeistert von der Idee. Endlich, mein erster langer Motorrad-Trip – und obendrauf noch die Gelegenheit, mit den Jungs abzuhängen und ein paar sicke Shots zu ergattern. In meinen Gedanken spürte ich schon den Wind im Gesicht, die Sonne brannte in meinem Nacken und die endlosen Highway-Kilometer flitzten unter mir vorbei… Noch am selben Abend kamen wir in Salt Lake an und trafen uns mit Jon Kooley in Toninos Haus. Jon hatte fast zeitgleich mit unserer Ankunft seine Biker-Fahrschule beendet: drei Stunden Schulbank drücken und vier Stunden auf einem Moped über den Parkplatz fegen und du bist bereit für das Abenteuer deines Lebens! Er war zwar immer noch ein bisschen nervös, konnte es aber trotzdem kaum erwarten, auf Reisen zu gehen. Der nächste Morgen brachte uns in Salt Lake Citys Harley-Shop mit dem Rest des Trupps zusammen: Jeremy Jones, Seth Huot, Aaron Biittner, Jon Kooley, sein Kumpel Chris, Tonino Copene, James Jackson, Bob als Fahrer des Filmtrucks, Eero Ettala, Heikki Sorsa, unsere Fotografen Rob Mathis und Pasi Salminen sowie der Mack-Dawg-Filmer Jaakko Itäaho. Die vorgesehene Route verlief erst westlich Richtung Wendover, um dann den einsamsten Highway Amerikas nach Carson City einzuschlagen. Danach hoch durch die Sierra Nevada nach Lake Tahoe zu unserem Etappenziel, dem Resort Northstar at Tahoe. Wie üblich gab es erst mal Highfives hier und da und so wurde es elf Uhr, bis wir endlich auf die Piste kamen. Da waren wir nun: 14 Mann an der Zahl, fertig für einen Trip in die unendliche Weite des Westens. Fast. Denn als wir uns für das Abschiedsfoto aufreihten, parkte Jon neben Jeremy ein und schaffte es tatsächlich, sein Bike vor der versammelten Harley-Belegschaft flachzulegen… Jon war in Ordnung, doch seine Maschine erhielt erst mal ein kaputtes Blinklicht zur Begrüssung. Ein paar Lacher und Schnappschüsse später schafften wir gerade mal drei Blocks, bevor Jeremy seine Ölpumpe, die er tags zuvor erst ersetzt hatte, reparieren musste. Nach fünf Minuten Pause schafften wir drei weitere Blocks, bevor wir das erste Mal die Böcke unserer Hobby-Touristen auftanken mussten. Die Mittagssonne hatte den Zenit schon überschritten, als wir endlich Salt Lake City hinter uns liessen.
»Es war grossartig, am Strassenrand anzuhalten und die funkelnden Augen in den eingefrorenen Gesichtern zu sehen! Junge, die Crew war der Hammer! Die Elemente stellten uns auf die Probe. Vor dem Trip wussten wir nicht, welchen Widrigkeiten wir widerstehen könnten jetzt wissen wir es (fast) sicher!« Jeremy Jones
Asphaltcowboys Mit 130 Sachen cruisten wir gen Westen vorbei an Autos und riesigen Sattelschleppern. In unserer Formation mussten wir für Aussenstehende aussehen, als wären wir einem 60er-Jahre-Roadmovie entstiegen. Beim nächsten Tankstopp schaffte es Jon ein weiteres Mal, seine Kiste abzulegen, und zerbeulte seine verchromten Schutzbleche. Der Junge hatte nur Pech und wollte schon das Handtuch werfen. Doch nach einiger Überredungskunst schwang sich der Landstrassenkönig wieder auf seinen Sitz und es ging auf dem Highway I80 weiter westwärts. Gute 16 Kilometer vor unserem nächsten Zwischenstopp machte dann mein Bike schlapp. Ich war gerade dabei, einen ziemlich Furcht einflössenden Tanklaster zu überholen, als meine Maschine ohne Vorwarnung plötzlich den Geist aufgab. Die marode Strasse mit ihren Unebenheiten und Schlaglöchern forderte ihren Tribut von der alten Mechanik. Wir luden mein Bike auf das Begleitfahrzeug und fuhren direkt nach Bonneville, um dort zu essen und natürlich meinen Untersatz wieder startklar zu machen. Dummerweise war es schon drei Uhr nachmittags und wir hatten noch nicht mal die Hälfte der geplanten Strecke zurückgelegt. Nach der Stärkung ging es weiter durch die Wüste auf dem Highway 93. Es war an der Zeit, mal ein paar Meter auf der staubigen Piste runterzuspulen, also drehten wir ordentlich am Gashahn und peitschten mit 150 km/h durch die Ödnis. Tonino, der sich vor Seth und Jeremy befand, wirbelte etwas Undefinierbares in die Luft, was wie Dreck von der Strasse aussah. Doch kurz darauf stellten wir fest, dass es sich nicht um Dreck, sondern um die Radmutter handelte, die eigentlich Toninos Vorderrad hätte halten sollten. Wir luden sein Bike auf den Hänger und ich tauschte meinen Sattel gegen einen Platz auf der Pritsche, um ein paar Bilder zu schiessen, während Tonino auf meinem Bike mit der einsetzenden Nachmittagskälte Bekanntschaft machte. Mit voranschreitender Stunde verlor die Sonne ihre wärmende Kraft. Jede Meile forderte mittlerweile Tribut. Bei jedem Stopp gab es neue Anekdoten zu erzählen: Schlaglöcher, die einen fast vom Bike hauen, Fliegen in den Augen oder einfach nur die unbeschreibliche Landschaft, die an einem vorbeizog. Wir passierten Dörfer mit Namen wie McGil, Ely, Ruth oder Eureka und wunderten uns jedes Mal, was in aller Welt diese Orte hier im Nirgendwo zu suchen hatten. Nichts als Wüste, Berge und der schier endlose Himmel, so weit das Auge reichte. Es hatte den Charme eines alten Western- oder Cowboyfilms. Als wir endlich an einem Motel in Austin in Nevada ankamen, war es saukalt, stockdunkel und alle waren ziemlich durch den Wind, vor allem Jon. Die letzten 50 Kilometer war er weit hinter unsere Gruppe zurückgefallen und musste sich ganz alleine den Weg durch die Dunkelheit erkämpfen. Total durchgefroren kam er auf dem Motelparkplatz an und fluchte, dass er endlich von diesem verdammten Feuerstuhl runterwollte. Er war komplett am Ende.
Motel-Blues Wir dachten eigentlich, dass Jon nach seinen vorangegangenen Malheuren direkt in das Motel crashen würde, stattdessen legte er sein Bike elegant auf meines, indem er dessen hinteren Kotflügel mitnahm. Da war er nun am Boden und sah aus wie der Belag in einem Motorradsandwich. Plötzlich kam von hinten ein schrilles „Ich rauch schon seit dem Tag meiner Geburt und trinke, seit die Bar geöffnet hat“-Gegacker. „Hey, ihr Flachzangen, bewegt sofort eure Hintern hier rüber: kaltes Bier und warmes Essen. Die Küche schliesst in zehn Minuten!“ Das liessen wir uns von der molligen Motelinhaberin nicht zweimal sagen. Einige Bier und Billardspiele später trollten wir uns in die Federn.
»Diese Kälte am Morgen nach der Nacht im Motel ruinierte beinahee mein Leben. Doch danach wusste ich, dass es nicht noch schlechter kommen könnte.« Aaron Biittner
Die einsamste Strasse der USA Der Wecker schrillte uns um fünf Uhr am nächsten Morgen eindeutig zu früh aus den muffigen Betten. Nichtsdestotrotz waren wir mehr als bereit für ein weiteres Abenteuer. Allerdings war es auf der einsamsten Strasse der USA, dem Highway 50, so bitterkalt, dass wir uns während des nächsten Zwischenstopps die Hände an den Auspuffrohren wärmen mussten. Meine Fingerspitzen waren komplett taub gefroren und mein Gesicht fühlte sich an, als wäre es ein einziger Eisklotz. Als die Sonne aber den Himmel hinaufkroch und ihre goldenen Strahlen über die trostlose Landschaft und unsere steifen Körper schickte, begannen wir langsam aufzutauen. Ich schaute gen Westen und konnte in der Ferne eine Herde wilder Pferde ausmachen, die an den sanften Hängen entlanggaloppierten. Diese surrealen und gleichzeitig erquickenden Momente werde ich wohl immer in Erinnerung behalten. Die nächsten Kilometer bestanden grösstenteils aus Gedanken an heissen Kaffee, an das warme Bett, aus dem wir am Morgen gekrochen sind, und an die klirrende Kälte, die wir langsam, aber sicher hinter uns liessen. Zudem hatte ich in der letzten Stunde so ziemlich die abgefahrensten Dinge meines Lebens gesehen: einen Baum, an dem hunderte von Schuhen und ein Paar Elchgebeine hingen, oder einen Militärlaster mit einer riesigen Bombe auf der Ladefläche, um nur ein paar zu nennen. Nebenbei gingen mir bei 180 km/h Gedanken durch den Kopf, was wohl passieren würde, wenn ein Viech vor mir über die Strasse rennen würde oder einer meiner Reifen platzte. Die überwältigende Freiheit machte aber jeden destruktiven Gedanken sofort wieder zunichte.
Willkommen in Northstar Kurz vor Carson City war die Kacke dann richtig am Dampfen. Mehrere entgegenkommende Autos und Trucks warnten uns mit Lichtsignalen, wir hatten aber keine Ahnung warum und blieben auf Kurs. Ein paar Kilometer weiter blies uns ein mörderischer Sandsturm schier von den Harleys. Man konnte keine fünf Meter weit sehen und wir mussten ständig umherfliegenden Büschen ausweichen. Aber irgendwie war diese Szenerie auch sehr aufregend. Gott sei Dank erreichten wir Carson City und das Ende des Sandsturms ohne schlimmere Zwischenfälle. Tonino konnte endlich seine fehlende Radmutter im örtlichen Harley-Shop besorgen und wir rüsteten uns für den Rest der Strecke im In’n’Out Burger. Die Jungs von Mack Dawg Productions wollten uns eigentlich auf dem letzten Stück nach Tahoe mit einem Heli begleiten, um ein paar nette Luftaufnahmen zu filmen, mussten aber wegen des einsetzenden Schnees am Boden bleiben. Ausserhalb von Carson waren die Strassen noch trocken, aber mit zunehmender Höhe wurden sie von Graupel bedeckt, bis dann am Gipfel eine geschlossene Schneedecke unseren Weg in eine unberechenbare Rutschbahn verwandelte. Beschissene Bedingungen für einen Harley- Davidson-Familienausflug! Unsere Unerfahrenheit im Umgang mit diesen widrigen Umständen fühlte sich an, als würde man das erste Mal ein Cliff droppen: Man weiss nicht, was einen erwartet, ist aber gleichzeitig total geflasht. Irgendwie schafften wir es dann doch, in unserer Hütte in Northstar at Tahoe anzukommen. 900 und ein paar zerquetschte Kilometer lagen hinter uns – und drei Tage feinstes Shredden vor uns. Diese drei Tage vor der Rückreise versüssten wir uns mit Filmund Photoshootings an zwei ausserordentlich kreativen Obstacles. Die müden Beine waren schnell vergessen, als plötzlich Wall to Wall Transfer sowie ein Up-Rail to Quarterpipe to Down-Rail vor uns standen. Der Ausflug nach Northstar hatte sich mehr als gelohnt und wurde von unseren wind- und wettergebeutelten Fahrern mit einer dicken, ausgiebigen Session belohnt.
»Jeder musste durch diese unbarmherzigen Momente von klirrender Kälte, Sandstürmen oder schneebedeckter glatter Strassen. Aber wenn die Leute bei den Tankstopps von den Bikes stiegen, sah man nur lachende Gesichter.« Tonino Copene
Cop trifft Hell’s Angels
Die Wetterlage bereitete uns während der Tage in Northstar grosse Sorgen. Mehr und mehr kündigte sich ein Schneesturm an. Am letzten Tag entschieden wir uns, direkt von der Schnee- auf die Asphaltpiste zu wechseln, um auf der Heimreise nach Salt Lake City den grösstmöglichen Vorsprung zwischen uns und den Sturm zu bringen. Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn man einen Schneesturm im Nacken hat, Zeit gutmachen will und sich seine kompletten Snowboard-Klamotten am nächsten Rastplatz anzieht, weil sich der Himmel so verdunkelt, als gäbe es kein Morgen mehr. So viel übrigens zu der anfangs erwähnten gemütlichen Ausfahrt durch den Westen.
Mitten in dieser lustigen Mission durchkreuzte ein Cop unseren Heimreiseplan und zog Tonino aus dem Verkehr. Mal abgesehen davon, dass dieser weder ein Nummernschild, einen Blinker, ein funktionierendes Bremslicht noch einen Rückspiegel vorweisen konnte, sah sein Bike doch eigentlich recht passabel aus. Der Cop versuchte, den Namen unserer Gang herauszufinden, und wunderte sich, welchem Teil der Hell’s Angels wir denn bloss angehörten. Tonino konnte ihn aber überzeugen, dass er nur zeitweise den Schaukelstuhl gegen eine Harley eingetauscht hätte, um sich einmal wie im Film zu fühlen. Kurze Zeit später befanden wir uns wieder auf Kurs und wollten die letzen 200 Kilometer ohne Rast hinter uns bringen. Das letzte Stück nach Salt Lake meinte es der Himmel doch noch gut mit uns: Leichter Rückenwind, ein märchenhafter Sonnenuntergang und der Gedanke an das eigene Bett liessen uns die letzten Kilometer in Windeseile hinter uns bringen. Wir kehrten alle mehr oder weniger unversehrt zurück und das Beste waren die E-Mails der Jungs am nächsten Morgen auf meinem Computer. Jeder beschrieb noch mal in eigenen Worten, wie unvergesslich der Trip für ihn war. „See you next year!“, würde ich sagen!
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