Geschichte sollten sie schreiben. Mit diesem Auftrag entsandte Rip Curl seine Fahrer Darius Heristchian und Per Løken zusammen mit einem Fernsehteam letzten Winter in den Annapurna, ein Teilgebirge des Himalaja, wo sie bei „The Search“ den höchsten Kicker der Welt bauen und shooten hätten sollen. Der begleitende Fotograf Eric Bergeri fasst in seinen Tagebucheinträgen zusammen, was es heisst, auf über 4000 Metern eine Lektion fürs Leben zu lernen.
Tag 1 – 10. Februar 2007
Nach einer sinnlosen Flugkette von Genf, nach Paris, Doha und Qatar landen wir endlich in Kathmandu. Vor Müdigkeit in Trance taumeln wir vom Flughafengebäude zum Taxistand und verfrachten unser Hab und Gut in ein nepalesisches Kleinauto. Wenige Sekunden später könnte der Weckruf lauter nicht sein: Unsere Mitfahrgelegenheit rollt durch ein Chaos aus Autos, Fahrrädern und Kutschen (mit waaghalsigen Fahrern hinterm Steuer) auf einer Strasse, die in Mitteleuropa gerade mal als besserer Feldweg durchgehen würde. Unserer Truppe bleibt nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass wir nicht für die Seitenspiegel aufkommen müssen, die immer dann fast vom Taxi getrennt werden, wenn uns ein anderes Gefährt passiert. Am Strassenrand türmt sich der Müll ins Unendliche und bietet den minderjährigen Müttern ausreichend Platz, ihre schreienden Babys zu säugen. Die trostlosen Blicke der jungen Mädchen verraten, dass die Neugeborenen in ihren Armen niemals besser enden werden, als die Kinder in Lumpen und mit struppigem Haar, welche die Müllhalde nach etwas Essbarem durchwühlen. Uns verschlägt der Tauchgang durch die nepalesische Realität die Sprache. Im Hotel angekommen findet Chris, einer der Filmer, seine Stimme als erster wieder und fasst zusammen, was wir alle denken: „Und ich glaubte, ich hätte auf meinen Reisen durch Südamerika Leid und Elend gesehen. Doch wenn ich mir diese Menschen anschaue, dann hatte ich nicht einmal den Hauch einer Ahnung, was Armut überhaupt bedeutet.“
Vom Hotel aus führt uns unsere Entdeckungstour auf den Thamel, die Einkaufstrasse von Kathmandu für Touristen und die privilegierte nepalesische Oberschicht. Wie von Zauberhand verschwinden beim Einbiegen in diese Ecke Kathmandus die Abfallhaufen, und die streunenden Kindern machen tüchtigen Geschäftsmännern mit Handy am Ohr platz. Die Menschen hier sprechen englisch, und die meisten von ihnen wissen, dass Frankreich – zu ihrem Stolz genau wie Nepal – seinen König für die Republik gestürzt hat. Der einzige Unterschied: Die Revolution in Nepal vollzog sich vor gut einem Jahr, und dem Monarchen wurde der Kopf erfreulicherweise nicht abgehackt. Doch all das lenkt uns nicht von den überirdisch schönen Gesichtern der nepalesischen Frauen ab. An jeder Ecke, in jedem Restaurant, in jedem Shop – überall lächeln uns Schönheiten entgegen, die unter dem Strich selbst die reichlich verehrten Schwedinnen schlagen. Es scheint, als ob jemand die Vorzüge der indischen, der mongolischen und der tibetanischen Gesichtszüge genommen und im Aussehen der nepalesischen Frau vereint hat.
Tag 2 – 11. Februar 2007
Unsere Crew steht, sichtlich gezeichnet vom Jetlag, um 8.00 Uhr auf und macht sich auf den Weg zu einem Tempel, der die Grundsätze des hinduistischen und buddhistischen Glaubens vereint. Ohne einen Gedanken an Zeit zu verschwenden, verbringen wir den Morgen in dieser Stätte des extraordinären Kults, bevor wir unsere Sachen im Hotel abholen und zum nationalen Flughafen düsen. Dort müssen wir erstmal den Beamten an der Passkontrolle aufwecken, uns von ihm in der Art eines Schlafwandlers auf unerlaubte Mitbringsel untersuchen lassen, um dann schliesslich an Bord eines Propellerflugzeuges steigen zu dürfen. Nach der Landung in Pokhara, am südlichen Fusse des Annapurnamassives, fühlen wir uns wie ein Schwimmer nach dem Auftauchen aus dem Wasser. So sehr schätzen wir die Luft hier oben im Vergleich zum Smog in Kathmandu.
Tag 3 – 12. Februar 2007
Als wir am nächsten Morgen aus dem Fenster schauen, erschlägt uns der Anblick des Annapurnamassivs. Unser Auge fällt auf den Machhapuchre am Eingang des Gebirges. Er strotzt uns als gelungenere Kopie des Matterhorns entgegen und raubt uns den Atem. Kein Wunder, dass er unter den Einheimischen als heiliger Berg verehrt wird. Wir beginnen den Tag mit einer Wanderung auf einem Feuerpfad, der uns zu einem buddhistischen Kloster circa 1200 Meter oberhalb von Pokhara führt. Die Alltagsszenen, denen wir auf diesem Weg beiwohnen dürfen, könnten malerischer nicht sein. Alles sprüht vor Lebenskraft. Die Leute lächeln und rufen uns „Nahmaste“ (heisst soviel wie „Hallo“) entgegen. Die Kinder folgen uns, berühren uns und beobachten uns mit ihren tiefbraunen Augen. Ein Kulturschock im guten Sinne, bevor wir mit den Mönchen im Kloster Haki-Saki spielen und ihrer Weisheit und Philosophie horchen.
Tag 4 – 13. Februar 2007
Ein kleines Propellerflugzeug bringt uns nach Jomsom, einem kleinen Stückchen Zivilisation inmitten des Annapurna. Als wir den Flughafen von Jomsom verlassen, lächelt uns ein dutzend Einheimische aus sonnengegerbten Gesichtern entgegen. Wir kapieren schnell, dass dies die Männer sind, die den Touristen hier ihren Gepäckschleppdienst anbieten. Unsere zwei nepalesischen Guides rekrutieren ein paar der jungen Männer. Wir bemerken, dass einige von ihnen – wahrscheinlich jene einer höheren Kaste – zwar weniger Gewicht satteln, dafür umso mehr in die Gestikulation während der Verhandlung um den Preis investieren. Der jüngste unserer Träger ist 15 Jahre alt und schleppt ziemlich genau das Gewicht, das er selbst auf die Waage bringt. Wir bekommen vor Staunen den Mund nicht mehr zu. Die Träger erhalten pro Tag 500 Roupies, was in etwa 7,- Euro entspricht. Kost und Logis inklusive. Sie tragen Jeans und Sneakers. Neben ihnen sehen wir in unseren technischen Outfits mit dem Qualitätsanspruch von Morgen aus wie die grössten Proleten. Gleich einem Schlag ins Gesicht werden uns die Unterschiede zwischen Osten und Westen vor Augen geführt, und wir fühlen uns so fehl am Platz wie selten zuvor.
Vier Stunden später erreichen wir nichts destotrotz Kagbeni, ein kleines Dorf voller Kinder, in welchem bis auf ein paar alte Greisen alle Englisch sprechen. Ein Fakt, der dem französischsprachigen Teil unserer Truppe bei der Bekämpfung des Gefühls, im Annapurna ein Fremdkörper zu sein, keine grosse Hilfe ist.
Tag 5 – 14. Februar 2007
Die Nacht in Kagbeni ist eiskalt. All unsere Sachen, unsere Glieder scheinen eingefroren. Die Elektrizität funktioniert nicht. Am Tag fegt ein Schneesturm mit hohen Winderstärken über das Dorf. Wir beschliessen, im Schutz unserer bescheidenen Behausung zu bleiben und unser Glück nicht herauszufordern, indem wir bei diesem Wetter in das Bergdorf Muktinath auf 3700 Metern aufsteigen. Ein Entschluss, der uns in unserem Zeitplan einen Tag nach hinten wirft.
Tag 6 – 15. Februar 2007
Diese Nacht ist noch kälter als die vorangegangene. Doch am Morgen sind die Wolken über Kagbeni verschwunden, und wir machen uns auf den Weg nach Muktinath, rund 1000 Meter höher. Während des Aufstiegs verhöhnt uns der 5400 Meter hohe Thorong-Pass mit seinen Blicken. Die enorme Höhe und die dennoch nahezu tropische Sonne machen uns zu schaffen. Der frisch gefallene Schnee verlangsamt unser Schritttempo zusätzlich. Niemand will es aussprechen, doch wir wissen alle, dass der Neuschnee die Lage für Shootings viel zu gefährlich macht.
Am Nachmittag erreichen wir Muktinath, eine Ansammlung aus ein paar wenigen Schutzhütten. Wir beziehen unsere Zimmer und verstauen unsere Sachen bevor die Nacht erneut alles in Dunkelheit hüllt. Die Elektrizität ist noch nicht wieder ins Tal zurückgekehrt, und wir essen im Schein der Kerzen und Laternen unser Abendbrot.
Tag 8 – 17. Februar
Am Tag 8 erwachen wir wieder in Jomsom. Das schlechte Wetter hat uns von Muktinath zurück ins Tal getrieben, und nun stecken wir erneut fest. Die Landebahn des Flughafens von Jomsom ist vereist und verschneit. Und auch Darius und Pers Versuche, die Militärs davon zu überzeugen, alles freizuschaufeln, endet nur in einer weiteren Runde im Kloster Haki-Saki. Am Abend überzieht erneut eine dicke Eisschicht die Landebahn, und macht unsere Hoffnung, Jomsom am nächsten Tag verlassen zu können, zunichte.
Tag 10 – 19. Februar
Den Erwartungen zum Trotz verfrachten wir am Tag 10 zeitig um 8.00 Uhr unsere Sachen in ein kleines Flugzeug, das uns aus dem Jomsom-Tal fliegt. In Pokhara gelandet erschlägt uns die Hitze. Wir stehen mit unserer Winterbekleidung in 20° C und tropischer Feuchtigkeit. Trotzdem fühlt es sich nach den unzähligen Nächten, in denen wir kurz vor dem Erfrieren waren, irgendwie gut an. Leider dauert das warme Zwischenspiel nicht lange. Nach einer dreistündigen Fahrt in höhere Lagen erreichen wir einen Armeestützpunkt, wo eine MI 17 darauf wartet, uns nach Hunde zu fliegen. Der Flug ist atemberaubend, und als der Helikopter nach rund 30 Minuten auf 3400 Metern Meereshöhe landet, haben wir uns noch nicht annähernd von den überwältigenden Eindrücken erholt.
Tag 11 – 20. Februar 2007
Der Tag startet mit einem ersten Suchflug nach geeigneten Kickerspots. Unser Helikopter erreicht in wenigen Minuten eine Höhe von 5500 Metern. Pilot und Co-Pilot tragen Atemmasken – ein Fakt, der die Situation noch „extremer“ erscheinen lässt. Wir entscheiden uns für einen Spot und lassen uns vom Heli absetzen, um die Lage vom Boden aus zu betrachten. Enttäuschung. Der Himalaja ist weder die Alpen noch Alaska. Nach der ersten Kurve auf dem Schnee realisieren wir, dass der Wind seinen Dienst geleistet, und dem Schnee jegliche Kompaktheit genommen hat. Am Nachmittag löst Per eine Lawine aus, die nur wenige Meter an der Film-Crew vorbeirast. Bevor die Situation zu bedrohlich wird, fliegen wir zurück ins Tal. Der Wind bläst bereits verräterisch stark, und oberhalb von 4000 Meter kann das Wetter gefährlich schnell umschlagen. Die Frustration ist gross. Uns bleiben nur noch zwei Tage. Ein Tag, um den Kicker zu bauen, und einen, um ihn zu hitten. Vor allem das Bauen bereitet uns Kopfschmerzen, denn wir sind alles andere als ausreichend akklimatisiert, als dass wir hier oben Höchstleistungen erbringen könnten.
Tag 12 – 21. Februar 2007
Wir verbringen den Tag in Hunde. Der Flug hinauf ins Basislager auf 5500 Meter ist nach wie vor zu riskant. Damit haken wir den Grund, für den wir eigentlich nach Nepal gekommen sind, ein für alle mal ab: Der höchste Kicker der Welt wird weiterhin eine Vision bleiben. Alles was uns nun bleibt, ist der Versuch, alternatives Footage zu produzieren, um diesem Trip auch aus finanzieller Sicht einen Grund zu geben. Während wir einschlafen, schicken wir Stossgebete auf wolkenloses Blau und Sonne für den nächsten Tag in den Himmel.
Fazit
Doch auch der letzte Tag brachte nicht mehr viel. Unsere Lungen waren nicht stark genug, um in der dünnen Luft Hänge oder Cliffs zu hiken. Und damit blieb es bei einem bescheidenen Mini-Jib in Hunde selbst. Und dennoch, wenn ich zurückblicke, und an die befriedigende Müdigkeit denke, die uns bei der Abreise von Hunde einholte, bereu ich keine Sekunde. Denn nichts in der Welt könnte uns diese einmalige Erfahrung je wieder nehmen. Auf Snowboarden reduziert war die Aktion von A bis Z ein Reinfall. Wir schaufelten keinen einzigen Kicker, schlimmer noch, wir packten nicht einmal unsere Schaufeln aus. Die Natur hat uns auf schmerzliche Weise gezeigt, dass sie nach wie vor stärker ist als wir. Eine Einsicht, der wir uns bewusst zu sein glauben. Doch eigentlich haben wir Abendländer mit unserem Drang, das Unmögliche möglich zu machen, keinen blassen Schimmer davon. Und da helfen auch die Yogabücher nichts, die wir in primitiven Mengen aus den Regalen unserer Bibliotheken reissen, in der Hoffnung, sie würden uns auf dem Weg zur Weisheit weiterbringen. So lange jedenfalls nicht, bis wir verstanden haben, was unser Sherpa meinte, als er unseren Trip zusammenfasste: „Sometimes summit, sometimes no summit, but a good lesson for life.“ Worte, die vielleicht auch im Westen vermehrt für „Erfolg“ stehen müssten.
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