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Travel Storys

Italien

Italien ist Fussball, steht für gutes Essen, ist modebewusst, wird angeblich von der Mafia kontrolliert und seine gesamte Bevölkerung ist von Mobiltelefonen abhängig. Das Land ist Urlaubsdestination Nummer eins für deutschsprachige Urlauber und steht für alles Mögliche, nur nicht für Wintersport.

Letzten Januar versank die Südalpenseite in Schneemassen, während man im Norden um die Wintersaison bangte. Lukas Goller, Jocki Köffler, Juuso Laivisto, Danny Larsen, Emeric Front und Eirik Haugo wollten sich selbst von den Rekordschneemeldungen aus dem Süden überzeugen und sprangen kurzerhand ins Auto. Ob an der Geschichte vom Wintermärchen in Italien wirklich was dran war? Den Abschlussbericht ihrer Italienreise gibt’s hier.

„This is the night…“
Wir sassen in unserer kleinen Welt wie abgenabelt vom Rest des Planeten und schlichen mit knapp 60 km/h auf der Strasse gen Süden. Mit „wir“ sind Death-Metal-Jünger Danny Larsen und der Geschichtenerzähler gemeint, mit „unserer kleinen Welt“ das Auto, mit dem wir im gefühlten Schritttempo vor uns hineierten. „Unsere kleine Welt“ auch deshalb, weil draussen teils Sichtweiten unter zehn Meter herrschten und sich drinnen dank kaputter Anlage nur eine einzige dämliche CD endlos drehte. Es war 22:10 Uhr, wir befanden uns gut zwei Autostunden von München am Brenner, das angepeilte Reiseziel hiess Prato Nevoso, Italien. Laut Routenplaner belief sich die Gesamtfahrzeit auf neun Stunden – ohne Nebel.

Voraussichtliche Fahrzeit bei diesen Strassenverhältnissen: rund 20 Stunden! Ein erstes Auto war am Vormittag gestartet und meldete, dass sich die weisse Suppe hartnäckig bis zum Zielort hielt und uns teils 40 Zentimeter Neuschnee auf den Strassen rund um Mailand erwarteten. Nach dem Anruf war eins klar: Wir hatten mächtig die A…karte gezogen! Frustriert drehte Danny den Sound unserer 80er-CD voll auf. Aus den Boxen dröhnte „Touch Me“ von Samantha Fox, die uns per lechzender Stimme mit „This is the night, this is the night…“ unsere missliche Lage bestätigte. Das ganze Ausmass des Dilemmas wurde uns bewusst, als uns danach Modern Talking mit „Cheri Cheri Lady“ gefolgt von „Brother Louie“ usw. die Ohren blutig jaulten. Wer, zum Henker, hatte diese CD für immer und ewig in dem CD-Player versenkt?! Was tut man sich nicht alles an, nur um als Erste im italienischen Tiefschnee versinken zu können! Im Nachhinein fühlte sich die Fahrt länger als der gesamte Trip an. Wie ihr euch vielleicht denken könnt, hatten wir bei unserer Ankunft knapp 18 Stunden später von der 80er-Gehirnwäsche die heftigsten Matschbirnen ganz Italiens. Auch wenn es die schlimmste Autofahrt unseres Leben war, wir hatten auch unseren Spass und können sogar eine positive Bilanz ziehen: Was nicht tötet, härtet ab – und bei den nächsten Karaoke-Partys wird uns keiner so schnell das Wasser reichen können!

Prato Nevoso
Die Strapazen der Anreise waren schnell vergessen, als wir am ersten Morgen leckeren Kaffee schlürften und die unberührten, glitzernden Schneefelder vor uns liegen sahen. Es war ausserhalb der Ferienzeit und mit 8:30 Uhr für italienische Verhältnisse unmenschlich früh. Prato Nevoso liegt in der vordersten Bergkettenreihe der Ligurischen Alpen auf knapp 1.500 Metern. Das bringt zwei positive Effekte mit sich. Erstens: Alle von Süden kommenden Niederschläge bleiben in dem Wintersportgebiet hängen und müssen zuerst kräftig abschneien, bevor die Wolken ins Landesinnere weiterziehen können. Zweitens: Von Prato Nevoso aus hat man ein endloses Panorama über das Flachland Richtung Turin und Küste. Der Ort besteht überwiegend aus riesigen Betonbauten, die in den 1960ern aus dem Boden gestampft wurden, aber versprüht trotzdem einen gewissen italienischen Charme.

Tiefschnee ohne Ende
Die Meldungen der Schneemassen aus dem Süden Norditaliens hatten sich also bestätigt. Uns stand der Schnee sprichwörtlich bis über beide Ohren, während in der Schweiz der Grossteil des Snowboard Zirkus auf ein paar Eisplatten herumrutschend die European Open austrug. Snowboarden in Italien war uns allenfalls aus Südtirol bekannt. Alles Südlichere gehörte eher in die Schublade „Strandurlaub am Mittelmeer und mobiltelefonabhängige Italiener, die ihre Langhaarfrisuren mit übertrieben viel Gel vergewaltigen“. Als wir oben auf dem Berg aus dem Lift stiegen, waren die bekannten Klischees sofort im tiefen Powder versunken und vergessen. Wir parkten die Kameras beim Lifthaus und legten einen Motivations-Shred-Day ein. Es war kaum zu glauben, dass wir mit unseren Sprays, die Zigaretten der Gucci-Brillenträger im drei Meter über uns fahrenden Sessellift ausslashen konnten – yeehah! Dem Powder-Rausch willenlos ausgeliefert, vergassen wir völlig den Anlass unserer Reise: das Filmen. Wir heizten so lange die Hänge runter, wie unsere Beine uns über dem Board hielten. Abends war aller Powder verfahren und die Frage berechtigt, ob wir nicht doch besser Fotos und Filmmaterial hätten sammeln sollen. Ja, ja, der Wenn und der Hätt… wenn ein Berlusconi nach Lust und Laune die Gesetze des Landes drehen und wenden kann, dann können auch wir, ohne mit der Wimper zu zucken, diesen ersten Tag mit gutem Gewissen verantworten, oder? Der Tag endete in einem Restaurant mit typisch italienischen Ambiente.

Am Ende des Abends hatten wir den gesamten Rotwein bestand des Lokals „aus Versehen“ verschluckt – zumindest fühlten sich unsere Köpfe und die Rechnung so an, bevor wir uns auf den Heimweg machten und zentnerschwer in die Betten sanken. So schön der Auftakt in Prato Nevoso auch war, der darauf folgende Tag holte uns zurück auf den Boden der Tatsachen. Die Sonne schien schon wärmend durch das Fenster und alles sah nach einem weiteren perfekten Tag aus. Wir standen auf und machten uns für den Berg bereit, nur Clement und Flo, unsere beiden Filmer, kamen nicht aus den Federn. Clement hatte die ganze Nacht unter Tränen mit eitrigem Zahnfleisch und bestialischen Zahnschmerzen gekämpft. Und Flo schienen die Strapazen der Anfahrt und des Powder-Tages so zugesetzt zu haben, dass sein Körper per Grippe die Handbremse zog.

Da das Hauptaugenmerk des Trips dem Filmen galt, standen wir nun vor einem Problem: ohne Filmer kein Filmen, ohne Filmen kein Snowboarden, um die Spots für die Kameras zu sichern. Was also tun? Als hätte man uns die Flügel gestutzt, sassen wir hilflos in der Espresso-Bar und wussten weder vor noch zurück. Eines war klar: Clement hatte ein grösseres Problem, musste in die Klinik und würde sicherlich für mehrere Tage ausfallen. Flo kämpfte gegen die Erkältung an und quälte sich unter einigen Bedingungen in die Boots. Einer der Fahrer musste zum Sherpa umfunktioniert werden, um Flos schweren Kamerarucksack zu tragen. Gefilmt werden konnte nur vom Pistenrand aus, da sich Flo zu schwach für den Tiefschnee fühlte. Tatsächlich fanden wir ein Areal mit Cliffs und kurzen Lines, die es lohnte zu filmen, auch von der Piste.

Nach der Session machten sich Lukas und Jocki auf die Suche nach weiteren Spots die „krankengerecht“ gefilmt werden konnten. Sie wurden am Dorfrand direkt hinter den Häusern fündig, wo sich ein Cliff als natürlicher Takeoff anbot. Die Sonne stand bereits tief am Horizont, als die Session ihren Lauf nahm. Am Ende hiessen die Gewinner dieser Session Flo, quasi aus dem Auto filmen konnte, und Emeric, der einen satten Cab 5 in die eher flache Landung am Anfang der Session stellte.

b>Von der Strasse abgekommen
Die nächsten zwei Tage konzentrierten wir uns auf die Bergstrasse, die von Prato Nevoso hinunter ins Tal führt. Im Schutz der Berggipfel und dichten Wälder schien der Schnee länger zu halten. Die Entscheidung, dorthin zu gehen, erwies sich als richtig. Nicht nur der Schnee hielt dort länger, das Gelände links und rechts der Strasse entpuppte sich als riesiger Pillow- und Kicker-Spielplatz. Tree Bonks, Häuser-Gaps, steile Landungen und Pillows ohne Ende bescherten uns zwei produktive Tage. Um langweilige Trickaneinanderreihungen zu vermeiden, schaut ihr euch am besten die Fotos der Geschichte an. Knapp die Hälfte von ihnen entstand in diesen zwei Tagen. Als uns nach drei Tagen die Kräfte verliessen, entschieden wir, einen Ruhetag einzulegen, den wir mit einem Ortwechsel verbanden.

Argentera
Wir stiegen wieder in die Autos und ein weiteres Mal fingen Samantha Fox & Co. an, ihre 80er-Schinken runterzurattern. Prato Nevoso verschwand im Rückspiegel und wir waren gespannt, was uns als Nächstes erwarten würde. Unser Reiseziel lautete Argentera. Rechtzeitig zum Ortswechsel stiess auch Filmer Clement wieder zu uns.

Endlich wieder vereint näherten wir uns dem kleinen Freeride-Eldorado, das einen Steinwurf von der französischen Grenze liegt. Die Gegensätze zwischen Prato Nevoso, das von reichen Geschäftsleuten aus Turin und Genua konzipiert und erbaut wurde, und dem urigen Argentera mit seinen rund 90 Einwohnern hätten kaum grösser sein können. Bei unserer Ankunft in dem abgelegenen Dorf kamen wir uns vor, als wären wir Astronauten, die Argentera, einen bis dato unbekannten Planeten, als Erste betraten. Der Ort liegt auf 1.630 Metern zwischen schroffen Bergen eingekesselt am „Ende“ Italiens. Im gleichnamigen Wintersportgebiet sucht man Fortschritt und Luxus ebenso vergebens wie in der Ortschaft selbst, lediglich ein alter Sessellift und einige Schlepper gehören zum Inventar des -Gebiets. Diese jedoch erschliessen ein Freeride-Gelände aller-feinster Sahne. Die gut tausend Höhenmeter des steilen Gebiets können fernab der Pisten in drei Himmelsrichtungen abgefahren werden. Eigentlich genau unser Ding, wenn wir nicht neben der Strasse drei perfekte Kicker-Landungen entdeckt hätten und uns im Nu im Schaufelwahnsinn wieder fanden. Der Grund für diese Entscheidung: Es gab bis zu diesem Tag noch keine Kicker-Aufnahmen und alle brannten darauf, endlich Tricks in den Kasten zu bekommen. Wir schaufelten bis lange nach Einbruch der Dämmerung drei Kicker vor die Landungen, um uns am nächsten Tag ganz auf das Shooten konzentrieren zu können.

Durchnässt, ausgepowert und mit einem riesigen Loch im Bauch kämpften wir uns, als wir fertig waren, durch den Tiefschnee zurück zu den Autos. Es war allerhöchste Eisenbahn, eine Bleibe zu organisieren, doch nach dem Umdrehen des Schlüssels im Zündschloss machte die Kiste keinen Mucks. Im Eifer des Gefechts hatte wir nach unserer Ankunft vergessen, das Licht auszuschalten… Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis wir den Wagen in der klirrenden Kälte wieder zum Laufen brachten und endlich die Unterkunftssuche starten konnten. Argentera glich im Dunkel der Nacht einer Geisterstadt. Keine offene Pension, menschenleere Gassen und verschlossene Fensterverschläge verliehen dem Dorf einen mystischen Charakter. Mystik hin oder her, die Nerven lagen blank und erste Schuldzuweisungen rollten von den Zungen. Wir liessen den Ort hinter uns und fuhren einige Kilometer talauswärts, bis wir schliesslich mitten in der Pampa eine kleine Pension fanden. Die Betreiber waren ein altes Ehepaar mit Hund. Wir überraschten die drei – wie sollte es anders sein? – beim Fernsehen am offenen Kamin. Während der Alte und der Hund faul in ihren Sesseln liegend weiter den alten Adriano-Celentano-Schinken glotzten, tischte die liebe Mamma dick für uns auf. Das Essen war einfach, aber verdammt lecker! In welcher Pension der Welt stellt sich eine Oma von über 70 Jahren nachts um 22 Uhr für eine Horde fremder „Bambini“ in die Küche und kocht Kartoffelpüree aus echten Kartoffeln mit Fleisch, Fisch und Gemüse zu einem Preis, für den man in München nicht mal einen schäbigen Kebab ersteht? Unsere Welt war wieder in Ordnung!

Kamikaze-Flugschau der Extraklasse
Am folgenden Morgen stand Kicker-Fahren auf dem Programm. Klugerweise begannen wir mit einem mittelgrossen Stepdown Kicker als Warm-up. Die Flugkurve war perfekt, alle konnten einige Tricks sicher in den Schnee stellen und Selbstbewusstsein tanken. Motiviert von dem gelungenen Auftakt machten wir uns an den zweiten Kicker, eine echte Abschussrampe! In den Au-gen der Fahrer konnte man gross „Doubles!“ lesen. Es dauerte nicht einmal einen Testdurchgang, da schmissen sich auch schon Eirik, Juuso und Danny mit Double Backflips und Fs 1080° Double Corks über den Kicker. Es war die erste richtige Kicker Session der Saison – dementsprechend flogen die Herren wie japanische Kamikazeflieger durch die Luft und schlugen völlig orientierungslos in der steilen Tiefschneelandung ein. Den Einheimischen schien das zu gefallen, denn nach und nach öffneten sich immer mehr Fenster im Dorf und die Herren im überwiegend höheren Alter nahmen auf ihren zurecht gelegten Kopfkissen mit den Ellenbogen Platz. Was die sich wohl bei unserem Anblic dachten? Wir wollten es gar nicht wissen. Immerhin landete Eirik seinen ersten Fs1080° Double Cork überhaupt und beendete danach zufrieden seine Session. Die Knochen taten weh, die Beine waren weich wie Butter, wir mussten den Tag vorzeitig beenden und den dritten Kicker auf den nächsten Tag verschieben. Glücklich, aber kaputt wurden wir abermals von unserer Mamma bekocht und besiegelten den Tag mit einigen kühlen Bierchen.

Als wir mit dickem Schädel erwachten, kam uns das schlechte Wetter da draussen sehr entgegen. Schade nur, dass es der letzte Tag des Trips war und wir den dritten Kicker für die Katz gebaut hatten. Nach einem gemütlichen Frühstück machten wir uns wieder auf den langen Heimweg. Mit dabei – genau: Samantha und Dieter…

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