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Travel Storys

Mazedonien

Seien wir mal ehrlich: Mazedonien hat noch keiner von euch auch nur ansatzweise mit Snowboarden in Verbindung gebracht. Die meisten könnten wahrscheinlich noch nicht einmal sagen, wo sich die Republik Mazedonien auf der Landkarte befindet. Mich eingeschlossen. Deshalb war es auch nicht weiter verwerflich, dass ich für den Typen auf der ISPO nicht mehr als ein gönnerhaftes Lächeln übrig hatte, als er kostenlose T-Shirts verteilte und meinte, er wollte die -europäische Snowcat-Expedition in einem kleinen ost-europäischen Land namens Mazedonien organisieren. Ich steckte dankend das Shirt ein und verkrümelte mich mit der Ausrede auf ein dringendes Meeting in irgendeine Ecke der Messehalle.

Ein paar Wochen später entdeckte ich plötzlich wieder dieses T-Shirt und beschloss, „Mazedonien“ doch mal bei Google einzugeben. Und siehe da: Dort stehen einige anständige Berge und auch „Schnee“ ist in dieser Region kein Fremdwort – ein viel versprechender Start. Zudem erhielt ich wieder eine E-Mail des T-Shirt-Typen mit einer Kopie der Wettervorhersage, welche mit amtlichem Schneefall köderte. Da mich Snowcat- und Powder-Geschichten schon immer fasziniert haben, entschied ich, Nägel mit Köpfen zu machen, und buchte ein Flugticket nach Mazedonien. Erst danach schnappte ich mir meinen Atlas, um zu gucken, wo genau sich dieses Fleckchen Erde eigentlich befindet.

Balkanorkan
Es ist mittlerweile Tag vier unseres einwöchigen Abenteuers, und als die Snowcat mit einem Ruck zum Stehen kommt, schiele ich zu Jonas hinüber. Er stützt mit einer Hand das Plexiglasfenster neben sich, das bei dem starken Wind heftig klappert. In der Tat sieht es so aus, als würde die Scheibe direkt aus dem Rahmen springen, sobald Jonas seine Hand wegnähme. Wir parken auf dem Gipfel des Bergs oder zumindest an der höchsten Stelle, an der uns der Fahrer rauslassen kann: ein windverblasener Grat, der die nach Norden und Süden gerichteten Hänge des Gebirgzugs Sar Planina teilt und die Einfahrt in einen von Cliffs durchzogenen Hang freigibt, den wir einen Tag zuvor entdeckten. Den scheinbaren Schutz der Snowcat gegen die mit über 70 km/h pfeifenden Balkanwinde einzutauschen kommt mir genauso einladend vor und wahrscheinlich genauso riskant, wie als Robbe verkleidet in einem Haifischbecken baden zu gehen. Ich beobachte, wie Jonas Emery und James Stentiford aus unserem Gefährt springen, sehe ihre Silhouetten im aufgewirbelten Schnee verschwinden und folge pflichtbewusst in der Erwartung, dass mich die Plexiglasscheibe ebenfalls begleiten wird. Alles, was wir draussen tun können, ist, unsere Körper auf den Boden zu drücken und an unser Material geklammert auf ein Windloch zu warten. Als dieser Moment kommt, stolpern wir vom Grat weg durch den Schnee auf der Suche nach etwas Schutz vor dem Orkan. Es ist nicht ganz das, was mir aus meinen vorangegangenen Snowcat-Ausflügen in Erinnerung geblieben ist, aber ich denke, dass Snowboarden in Mazedonien nicht ohne ein bisschen Abenteuer möglich ist.

„Es ist nicht immer so stürmisch“, versichert uns Nenod, einer unserer Guides. „Nur wenn das Wetter von Norden kommt.“ Verantwortlich dafür ist Mazedoniens Lage inmitten zweier Klimazonen: dem alpinen Klima Nordeuropas und dem warmen, mediterranen Klima Südeuropas. Ich denke, dass das wohl einen ziemlich abgefahrenen Wettermix ergibt, wobei ich mir sicher bin, dass diese seltene Klimakombination schneereiche Winter mit einer Fülle von Sonnentagen mit sich bringen kann. In diesem Jahr mussten Mazedoniens Berge jedoch eine unwillkommene Dürre ertragen; fünf trockene Wochen verwandelten die südgerichteten Hänge der Sar Planina bereits im März in ausgedörrte Weideflächen.

Freshies
Bei unserer Ankunft im Gebiet von Popova Sapka, der Basisstation von „Eskimo Freeride Snowcats“, begrüsste uns praller Sonnenschein und gleichzeitig erschreckte uns eine sehr spärliche Schneedecke. Das machte es nicht einfach, die Moral der Truppe, bestehend aus Jonas Emery, James Stentiford und meiner Wenigkeit, am Leben zu erhalten. Unsere beiden Guides Nenod und Darije schienen aber von der buschigen Landschaft, die nur einen Steinwurf von den roten Snowcats entfernt begann, alles andere als gelangweilt und empfingen uns mit breitem Grinsen und einer Tasse Tee.

Mein Wissen über ihre Heimat Mazedonien hielt sich sehr in Grenzen. Einzig daran, dass sie aus dem ehemals kommunistischen Jugoslawien her–
vorgegangen ist, was von politischen Wirren begleitet wurde, kann ich mich erinnern. Ich fange an, in typisch westlich unbedarfter Art darüber zu sinnieren, ob eventuell schon das blosse Anschnallen eines Snowboards ausreicht, um diese Jungs glücklich zu stimmen. Nach allem, was die Balkanregion in den letzten Jahren durchmachen musste – inklusive Bürgerkriege und ethnischer Säuberungen –, ist wahrscheinlich die Möglichkeit, Snowboard zu fahren, schon eine Genugtuung für sich, grüble ich. Ich hätte nicht naiver sein können: Beide Guides sind bekennende Powder-Junkies und verbringen die meiste Zeit ihrer Winter auf der Suche nach Tiefschnee in den österreichischen Alpen!

Ihr breites Grinsen musste wohl Vorbote für den anstehenden Wetterumschwung gewesen sein. Schnee war im Anmarsch und davon eine ganze Menge! Doch zuvor entschieden wir uns dazu, auf dem Berg zu scouten, und somit entwickelte sich der Nachmittag zu einem Slush-Spass, bis am Nachmittag die ersten Wolken aufzogen und der Schnee zu rieseln begann. Bis zum nächsten Morgen sollten es gute 30 Zentimeter Neuschnee werden.

Banked Slalom
Obwohl es das erste Jahr von „Eskimo Freeride“ ist, wissen die Guides genau, wo sie uns für ein paar anständige Runs hinbringen müssen. Und so stolpern wir durch das grelle Weiss in ein Gebiet namens Jelac, wo wir den Rest des Tages in hügeligem, bewaldetem Terrain verbringen. Wir befinden uns mittlerweile auf der Nordseite, wo sich gut 30 Zentimeter Neuschnee auf einer alten, aber dicken Grundschicht stapeln. Im Vergleich zum Vortag hätten das Wetter und das Fahren nicht unterschiedlicher sein können. Obwohl unsere Runs sehr kurz sind, werden wir bei jedem Drop mit einer perfekt geformten Banked-Slalom-Rinne verwöhnt und unsere Runs würden einem guten Tag in Mount Baker in nichts nachstehen. Mit müden Beinen, beschlagenen Brillen und einem riesigem Smile bemühen wir uns am Ende des Tages in den Pistenbully, um zurück zum Gebiet zu gelangen.

Investitionen und Beziehungen
Völlig ausgehungert erreichen wir die „Eskimo Freeride“-Blockhütte, wo ein gedeckter Tisch mit Tee, Brot und Honig sowie würzigem Sarski-Sir-
Schafskäse, eine Spezialität der Region, auf uns wartet. Es herrscht eine sehr entspannte Atmosphäre, nicht solch eine noble Tonart, wie ich sie schon bei manch anderer Expedition erlebt habe. Überdies hat die Einrichtung der Hütte bereits den Charme eines Saisonlagers angenommen. Das Einzige, was mich daran erinnert, nicht in einem abgefuckten Chalet in Jackson Hole oder Chamonix zu sitzen, sind die Internet-Verbindung sowie die bröckelnde Betonarchitektur vor der Tür. Normalerweise bringen die Jungs von „Eskimo Freeride“ ihre Kunden in einem der komfortablen Hotels von Popova Sapka unter, aber der Schneemangel vor unserer Ankunft zwang die Lifte dazu dichtzumachen und das Hotel tat es ihnen gleich.

Überhaupt wirkt die Umgebung wie eine Geisterstadt, wobei diese Einsamkeit dem ganzen einen Touch von Abenteuer verpasst. Die abgehalfterten Sessellifte, die den heftigen Wetterbedingungen zum Opfer gefallen sind, tragen ihren Anteil zu diesem Eindruck bei. In einem Land, welches sich erst vor 17 Jahren aus dem Kommunismus heraus entwickelte und immer noch an einer anständigen Wirtschaft arbeitet, stehen Wintersportgebiete politisch gesehen sicherlich nicht an erster Stelle der zu tätigenden Investitionen. Auf unserem täglichen Weg in die Berge passieren wir abgewrackte Lifte, die nur noch aus einem Durcheinander von Kabeln und eingestürzten Gebäuden bestehen. Aber es wird trotzdem deutlich, dass Popova Sapka in den 70er- und 80er-Jahren, als Mazedonien noch zu Jugoslawien gehörte, ein aufstrebendes Skigebiet gewesen sein muss, in dem mit Sicherheit genauso fleissig gefeiert wurde wie heute in Vail, Breckenridge oder Chamonix. Es gab sogar eine eigene FIS-Strecke, deren Zeitnahmeturm von Wind und Wetter mittlerweile zu einer bizarren Betonruine zerfressen worden ist.

Dieses nostalgische Bild aus Mazedoniens Vergangenheit, eines von mit Freuden erfüllten Ferien in der Kindheit oder von ersten Alkoholräuschen in der Jugend zwischen den ersten Powder-Tagen, trägt Tomislav noch immer in sich und veranlasste ihn dazu, in Mazedonien Europas erste Snowcat-Basis zu gründen. Die Tatsache, dass sein Vater ein guter Freund eines einflussreichen Einheimischen ist, hat die Genehmigung seines Vorhabens positiv beeinflusst, wie er uns mit einem süffisanten Lächeln mitteilt. Auch in Mazedonien machen sich Beziehungen halt noch bezahlt.

Veränderungen
Als wir endlich in „Eskimo“ loskommen, ist der Schnee so fluffig, wie man sich das an einem perfekten Wintertag vorstellt, und „Schere, Stein, Pa-pier“ entscheiden, wer den ersten Run machen darf. Der nächtliche Wind hat dem Grat schwer zugesetzt und wir finden den verwehten Schnee weiter unten im Wald, wo er sich recht stattlich angehäuft hat. Jonas und James entdecken hinter jedem noch so kleinen Hügel Möglichkeiten für Hips, während ich glücklich bin, endlich ein paar Shots in den Kasten zu bekommen. Letztlich bewegen uns die anrollenden Wol-ken aber dazu, wieder den Rückzug in Richtung Wald anzutreten – in Unkenntnis über den Plexiglas biegenden Orkan, der auf uns warten sollte.

Im Wald treffen wir auf ein ausgebranntes Haus, das laut Darije von der mazedonischen Armee während der offenen Konflikte in der postkommunistischen Ära abgefackelt wurde, um aufständischen Albanern die Möglichkeit zu nehmen, es zur Verteidigung zu nutzen. Seine Geschichte, eingebettet in den Bauschutt und allerhand Metall, macht diese Ruine zu einem Must-Jib unseres Trips. Jonas klettert auf einen nicht allzu hohen Balken und droppt ihn mit einem One-foot Acid unter dem Applaus der Guides und des Bullyfahrers. Die Ironie, ein zerbombtes Gebäude mit einem Bomb Drop zu bezwingen, bleibt uns nicht verborgen und Jonas meint, dass dies „hier ziemlich strange ist – vor allem, wenn man bedenkt, dass dort, wo wir jetzt snowboarden und Spass haben, vor kurzem noch Krieg herrschte“.

Mazedonien steckt inmitten einer Phase der Veränderung, so viel ist sicher. Eine Veränderung zum Guten, welche die Entwicklung von Tourismus und Dingen wie Snowboarden mit sich bringt. Wir konnten uns nicht vor-stellen, was uns in Mazedonien erwartete, aber in einer einzigen Woche zerpflügten wir den besten Powder des Winters und kämpften mit den verrücktesten Winden, die ich jemals erlebt habe. Es entwickelten sich neue Freundschaften und wir lernten eine Menge über einen Teil von Europa kennen, welcher uns zuvor eher geheimnisvoll und mysteriös erschien. Wie überall, wenn Sachen einem rapiden Wandel unterliegen, kann ich auch hier nur empfehlen, selbst hinzufahren und sich ein Bild davon zu machen, bevor es in der globalen Eintönigkeit untergeht. Manchmal lohnt es sich, über ein geschenktes T-Shirt hinauszublicken und nach dem Atlas zu greifen; das Abenteuer wartet immer irgendwo dort draussen!

Eskimo Freeride
Das Geniale am Cat-Boarding ist, dass man quasi einen eigenen Berg mit einem ständig zur Verfügung stehenden 4×4-Taxi hat. Die Jungs von „Eskimo Freeride“ () benutzen einen Pistenbully 200 mit einer speziell angefertigten Kabine auf dem Heck, welche Platz für bis zu elf Leute plus zwei Guides bietet.

Das Gelände und die Shred-Möglichkeiten
Die Berge in Mazedonien sind geografisch betrachtet noch recht jung, was bedeutet, dass das Gelände aufgrund der ausbleibenden unterhöhlenden Kräfte rund und hügelig ist. Es gibt weder turmartigen Spitzen noch überdimensionierte Seilbahnstationen. Die sanfte Erscheinung des Gebiets gibt kaum Orientierung und das Fehlen von Bäumen macht es kompliziert, die Ausmasse einzuschätzen. Der Titov Vrv, höchster Berg der Sar Planina und zweithöchster Mazedoniens, wurde nach dem ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Tito alias Josip Broz benannt und ist 2.747 Meter hoch. Der mazedonische Gebirgszug beherbergt Europas höchstgelegene Weidelandschaften, die mit ihren 212 Quadratkilometern zwar nicht allzu gross sind, dafür aber die perfekte Lage für eine Snowcat-Organisation bieten. Die Guides sprechen fliessend Englisch und stellen Lawinenausrüstung zur Verfügung.

Anreise, Übernachtung, Preise
Flüge aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz in die mazedonische Hauptstadt Skopje sind relativ günstig. Die Strecke Wien – Skopje kostet zum Beispiel circa 130 Euro (www.mat.com.mk). Das Hauptquartier von „Eskimo Freeride“ liegt eine Stunde mit dem Taxi (kostet ca. 35 Euro) vom Flughafen Skopje entfernt. Vor Ort über–nimmt „Eskimo Freeride“ den Rest. In den 170 Euro, die man pro Tag hinblättert, sind Snowcat, die Gebühren für die Guides und Unterkunft mit Vollpension inklusive.

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