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Travel Storys

Grönland

Auf der gegenüberliegenden Seite des zugefrorenen Fjords erhebt sich majestätisch Grönlands Inlandeis. Ein Ausläufer des Piteraq, des berüchtigten Grönland-Sturms, reisst mit bis zu 300 km/h Kristall für Kristall aus dem jahrtausende alten Eis, um sie durch die trügerisch idyllisch wirkende Landschaft zu schiessen. Sobald einer von uns seinen Kopf hinter dem Felsspalt hervorschiebt, schleudert ihn das Eisstrahlgebläse wieder zurück hinter den schützenden Fels. So verharren Eric Themel, Stefan Gimpl und Gian Simmen lieber weiter in der windgeschützten Felsspalte in der Nähe des Dorfes Tiniteqilaaq. Willkommen in Grönland!

Ankunft

Die kleine Propellermaschine von Iceland Air holpert im Landeanflug über die teils zugefrorenen, teils von Eisbergen durchsetzten tiefblauen Fjorde. Vor uns liegt die Landepiste von Kulusuk. Diese wurde komplett aus dem mehrere Meter tiefen Schneepanzer gefräst und ist während der Wintermonate Ostgrönlands einzige Verbindung zur Aussenwelt. Nach einem kurzen Zwischenstopp bringt uns ein Hubschrauber nach Tasiilaq, unserem Ausgangspunkt und Basecamp für den gesamten Trip.

Tasiilaq ist die Hauptstadt der Kommune Amassalik im Osten des Landes. Mit seinen 1.200 Einwohnern, die in den kleinen farbigen Holzhäusern leben, ist der Ort die mit Abstand grösste Menschenansiedlung der Region. Die beiden Ortsränder der Gemeinde sind durch die einzige Strasse im Osten des Landes verbunden.

Nach unserer Ankunft erkunden wir auf dieser Landstrasse die Gegend. Es ist Sonntagnachmittag. Draussen auf dem zugefrorenen Fjord sitzen die Dorfbewohner vor ihren Eislöchern und fischen. Hier und da jault ein Rudel Schlittenhunde in der Ferne, ansonsten herrscht Stille. Totale Stille.

Menschen, die ihren Kopf verkehrt herum auf den Schultern tragen

Bevor wir zu unserer ersten Snowboard-Mission aufbrechen, noch eine kurze Geschichte, die uns gewisse Umstände nach unserer Ankunft erklärte. Auch wenn die ersten Wikinger schon 982 nach Christus Grönland erreichten, blieben durch die unwirtlichen Lebensbedingungen viele Regionen lange Zeit von der fortschrittlichen Aussenwelt abgeschnitten. So verwundert es nicht, dass bis vor einem halben Jahrhundert die Bewohner abgelegener Dörfer noch nie Weisse gesehen hatten.

Unser Hausherr Robert Peroni, der seit 30 Jahren in Grönland lebt, erzählte uns eines Abends die Geschichte eines einheimischen Freundes. Als der fünf Jahre alt war, tauchten in dessen Dorf zum ersten Mal amerikanische Soldaten auf. Die Inuits hatten zuvor noch nie Vollbärte gesehen, da sie selbst fast keinen Bartwuchs haben. Beim Anblick der vollbärtigen weissen GIs suchten die Bewohner seines Dorfs damals fluchtartig das Weite. Irritiert durch die langen Haare an der Unterseite des Kopfs waren sie der Ansicht, die Fremden würden ihre Köpfe verkehrt herum auf den Schultern tragen. Allerdings wurden aus den „Aliens“ schnell Menschen und der Grundstein für den Vormarsch westlicher Kultur war gelegt.

Viele Inuits hätten vielleicht besser daran getan, sich nach ihrer Flucht vor den Weissen von diesen fern zu halten. Der importierte Alkohol wurde zum „Rettungsanker“ vieler, die der neuen Welt nicht gewachsen waren. Einige Jahrzehnte später scheint zwar die Talsohle dieses Völkerschicksals Alkohol durchschritten, doch die vielen Betrunkenen in Tasiilaq nahmen uns die Illusion von einer unberührten Kultur der Inuits.

Gelungener Auftakt

Den wolkenverhangenen Himmel nehmen wir kaum wahr, zu gross sind die Hummeln in unseren Hintern, die uns auf unseren Schneeschuhen trotz des flachen Lichts in Richtung Meer treiben. Zwei kleinere Berge trennen uns von der Küste, die unser Ausflugsziel ist. Vom Gipfel des ersten Bergs aus sehen wir zum ersten Mal das offene Meer. Die Aussicht bringt uns fast um den Verstand. Da sind sie, die Eisberge.

Es scheint, als hätten sie dort im türkisblauen Wasser geparkt, um ein letztes Mal ihre ganze Schönheit zur Schau zu stellen, bevor ihre grosse Reise beginnt und sie langsam abschmelzen. Nach einer kurzen Pause totaler Überwältigung kehrt unser Verstand wieder zurück – nichts kann uns halten, wir wollen zur Küste! Dort scheint das Glück auf unserer Seite.

Ein blau schimmernder Eisblock steht einsam am Ufer auf einem Plateau und lässt keine Zweifel: Unser Grönland-Trip beginnt passend zum Land mit einer Eis-Jib-Session! Selbst Freeride-Ass Eric, der zum Lines-Fahren angereist war, kann dem Spot nicht widerstehen und wohnt der Jib-Session auf dem grönländischen Eis bei. Unzählige Five-O’s und eine gute Stunde später ist der Eisblock gebonkt, die Fotos sind im Kasten.

Vom gelungenen Auftakt beflügelt folgen wir unseren Spuren im Schnee zurück nach Tasiilaq. Es ist dunkel bei unserer Rückkehr, aber noch lange kein Feierabend. Morgen wollen wir zu einer fünftägigen Hundeschlittentour aufbrechen. Kocher, Proviant und Zelte müssen zuvor noch überprüft und gepackt werden.

Vorfreude ist die schönste Freude

Zum letzten Mal auf die Toilette, das letzte Mal Körperhygiene, ein letztes Mal frisches Essen, dann brechen wir mit den Hundeschlitten auf. Die Sonne scheint, doch wir können die herrliche Landschaft während der ersten halben Stunde auf unserer Schlitten kaum geniessen. Als sich die Hunde in Bewegung setzen, geschieht dies auch mit ihren Mägen. So spritzt uns nicht nur der flockig aufgewirbelte Schnee entgegen, sondern die ausgestossenen Sekrete der arbeitenden Hunde fliegen uns ebenfalls um die Ohren. Nach ungezählten Ausweichmanövern vor den stinkenden Geschossen geht den Hunden zum Glück langsam die Munition aus. Endlich können wir auf den Schlitten entspannen und die siebenstündige Fahrt nach Tiniteqilaaq, einem kleinen Jägerdorf westlich von Tasiilaq, geniessen. Links und rechts von uns erheben sich wunderschöne Fels- und Bergformationen. Hier eine Line, dort eine Kicker-Landung – wir sitzen auf unseren Schlitten wie kleine Kinder im Einkaufswagen, die am Süssigkeitenregal vorbeigeschoben werden, aber nur gucken und nicht anfassen dürfen. Wir haben keine Zeit zum Anhalten und Session-Fahren, denn wir müssen vor Einbruch der Dunkelheit unser Ziel erreichen.

Unser Weg führt uns über gefrorene Fjorde und Seen, kleinere Berge und durch enge Schluchten, bevor wir einen schier endlosen Gletscherrücken hinauf müssen. Wir sind zu schwer für die Schlitten bei diesem Aufstieg und keuchen neben den Hunden Schritt für Schritt den Gletscher hinauf. Endlich oben angekommen liegen die Hunde hechelnd im kühlenden Schnee, während wir bei heissem Tee und Snacks neue Kräfte tanken. Doch die Aussicht über das unter uns liegende Tal lässt all die vorangegangen körperlichen Strapazen vergessen.

Am Horizont schimmert auf einer kleinen Landzunge des zugefrorenen Sermilik-Fjords unser Etappenziel Tiniteqilaaq. Das Abendlicht lässt die raue Eiswüste warm und freundlich erscheinen. Die Hunde liegen neben ihren Holzschlitten zufrieden im Schnee, unter uns hunderte Meter dickes Eis, vor uns liegen fünf Tage im Zelt in dieser unglaublichen Region. „Mann, ist das unglaublich schön hier! Kann mal bitte jemand die Zeit anhalten!“, wirft Eric ein. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Der Schein trügt, denn dieser fantastische Augenblick ist nur die Ruhe vor dem Sturm. Mit der Erwartung an den besten Trip unseres Lebens cruisen wir entspannt auf unseren Snowboards neben den Hundeschlitten den Gletscher Richtung Tiniteqilaaq hinab. Nach einer funny Butter-Session erreichen wir in der untergehenden Sonne das Dorf.

Geiseln des Piteraq

Tobi, unser Jäger und Guide, lädt uns in sein Haus ein, denn es ist zu spät, um einen Zeltplatz zu finden. Wir liegen schon in unseren dicken Schlafsäcken, als wir die Nordlichter draussen bemerken. In totaler Hektik rennen wir keine zwei Minuten später den Berg hinter Tiniteqilaaq hoch, von wo wir das Lichtspektakel über dem Fjord mit offenen Mündern verfolgen. Der grüne Schleier tänzelt eine Zeit lang am Sternenhimmel, dann scheint etwas den Sonnensturmausläufer zu erzürnen.

Der grüne Schleier ändert mit rasantem Tempo pausenlos seine Form und scheint über unseren Köpfen zu einem gefährlichen Wolkenmonster zu mutieren. Als wären wir auf dem Boden festgefroren, schauen wir dem Naturschauspiel der Aurora Borealis zu, bis der aufkommende Sturm die kalte Polarluft durch unsere warme Bekleidung drückt und uns zurück in die warme Stube zwingt.

Unsere fünftägige Zeltexpedition ist im wahrsten Sinne des Wortes in den Wind geschossen und beschränkt sich auf einige kurze Rundgänge bei Tobis Haus. Der Grund: Ein Piteraq zog auf. Dieser gefährlichste Sturm der Erde entsteht durch die extremen Temperaturschwankungen auf dem Inlandeis. Mit bis zu 300 Kilometern pro Stunde fegt dieser Eisorkan alles davon, was nicht niet- und nagelfest ist.

Während draussen die Welt unterzugehen scheint, laufen wir in Tobis Wohnzimmer zur Höchstform im „Uno“-Spielen auf. Wir erweitern das Kartenspiel um viele individuelle Regeln, um die aufkommende Langeweile im Keim zu ersticken. Vom Ehrgeiz gepackt bekommt der Begriff „Kameradschaft“ eine neue Definition. Stefan verliert beinahe seinen Klamottensponsor, weil er seinem Teammanager Frank, der uns begleitet, ständig in die Karten schaut und ihn ein ums andere Mal in die Pfanne haut. Eric liegt völlig entnervt auf der Couch und will nur noch heim, während Gian eine Runde nach der anderen gewinnt.

Zum Glück schwächt der Sturm sich nach drei Tagen ab und bewahrt uns vor Lagerkoller, Mord und Totschlag. Über die Enttäuschung der missglückten Expedition trösten wir uns damit hinweg, dass wir noch am Leben sind: Der Gedanke, dass uns der Sturm in unseren Zelten fernab eines sicheren, warmen Hauses überrascht hätte, lässt uns doch aufatmen und positiv nach vorne schauen. Wir bepacken abermals die Hundeschlitten und treten den Rückweg nach Tasiilaq an.

Unvergessliche Momente

Eine Woche bleibt uns noch, um im ewigen Eis zu zelten und unsere zwei Flugstunden mit dem Heli zu verfliegen. Doch das Wetter lässt diese Woche zur Zitterpartie werden. Um nicht den Putz von der Wand zu kratzen, entschliessen wir uns, Tages-Trips zu starten. Wir hiken in der näheren Umgebung von Tasiilaq umher und bekommen trotz des schlechten Wetters relativ viel Bildmaterial zusammen. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass die Anspannung steigt. Morgen ist Sonntag, der letzte Tag, an dem wir Heli fliegen können. Wenn das Wetter schlecht ist, gehen uns nicht nur zwei Stunden im Heli verloren, nein, wir verlieren auch das im Voraus gezahlte Geld.

Das Einschlafen fällt an diesem Abend besonders schwer, denn wir haben noch keine einzige Freeride-Aufnahme im Kasten, obwohl Freeriden doch der eigentliche Anlass unsere Grönland-Reise war. Nach dem vorangegangenen Pech unserer Hundeschlittenexpedition scheint am nächsten Morgen das Glück wieder auf unsere Seite zu sein. Wir rennen regelrecht zum Hubschrauberlandeplatz und sind, wie sollte es anders sein, viel zu früh da. Eric, unser Bergfuchs, nutzt die Gunst der Stunde und gibt einen Crashkurs in Sachen Lawinenkunde und Bergung aus Gletscherspalten.

Unter uns fliegt das so ruhig wirkende Grönland mit seinen Gletscherzungen, Fjorden und tausenden von Gipfeln vorbei, bis wir nach 20 Minuten auf einem Hochplateau zur Landung ansetzen. Der Schnee ist windverblasen, was die Wahl der fahrbaren Lines stark reduziert, da wir kein unnötiges Risiko fernab jeglicher Zivilisation eingehen möchten. Wir starten mit einer entspannten Line, die Gian, Stefan und Eric gemeinsam runtercruisen. Der Run ist stattliche sechs Kilometer lang und führt direkt an das Ufer eines Fjords, wo der Heli wartet. Die Landschaft allein lässt diesen gemütlichen Run unvergesslich werden.

Den Beweis findet ihr als „First Track“ am Anfang dieser Ausgabe. Es gibt nur wenige Momente im Leben, in denen der Gemütszustand von einer Sekunde zur nächsten komplett wechselt. Nach diesem ersten Run passiert es jedoch: Die vorangegangene Anspannung schlägt in ein bis dahin unbekanntes Glücksgefühl um. Die Welt scheint stillzustehen. Nur wir, der Helikopter, die unzähligen Berge, der Fjord und die angenehme Brise der reinsten Luft, die wir je geatmet haben, scheinen in diesem Augenblick unser gesamter Kosmos zu sein. Nach einem Moment der Glückseligkeit und einer kurzen Kaffeepause bringt uns der Heli auf den nächsten Gipfel, die Droge „Freeriden in Grönland“ beginnt von vorn. Weitere Runs folgen, weitere Endorphinschübe versetzen uns in Ekstase und lassen alle Probleme, alle Hektik, alles Böse vergessen.

In völliger Zufriedenheit besteigen wir den Hubschrauber und treten den Rückflug an. Unser norwegischer Pilot Håkon ist von unseren Lines so begeistert, dass er uns mit einem Tiefflug zwischen den Eisbergen hindurch die Fjorde entlang zurück nach Tasiilaq lohnt. Ende gut, alles gut. Bevor wir die Heimreise antreten, brechen wir ein letztes Mal mit unseren Schneeschuhen und den Zelten im Gepäck auf. Bei einsetzendem Schneefall bauen wir die Zelte auf und geniessen zum Abschluss dieser unvergesslichen Reise das Land in seiner rauen Schönheit unter freiem Sternenhimmel.

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