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Travel Storys

Kamtschatka

Wo würdest du genau in diesem Augenblick gerne sein? Es ist immerhin Winter – wie wäre es, jetzt in einem Heli zu sitzen, der über Alaska fliegt? Oder in einer Hütte mitten in den Alpen? Möglicherweise auch direkt vor einem Street Rail in Helsinki? Jetzt stell dir Folgendes vor: Du befindest dich in Kamtschatka, Russland, ganz im Osten des riesigen Landes auf einer Halbinsel irgendwo oberhalb von Japan und gar nicht mal allzu weit von Alaska auf der Landkarte.

An einem Platz, der dir das Gefühl gibt, irgendwo im Nirgendwo zu sein. Mitten in tiefem, nur von Schlitten- und Bärenspuren durchzogenem Schnee. Vulkane und kahle Bäume bestimmen das Landschaftsbild. Dazu kommt das unberechenbare Wetter, das die Natur in ihrer wildesten Form noch rauer erscheinen lässt. Wärst du bereit für diese menschenfeindliche Umgebung? Ich habe es gewagt und werde euch hier erzählen, was ich in Kamtschatka erlebt habe. Die Erinnerung an einen Platz, der sich so sehr von allen Orten unterscheidet, die ich in meinem bisherigen Leben gesehen habe, und der mich nicht mehr loslässt.


Sightseeing in Petropawlowsk
Sightseeing in Petropawlowsk

Vor dem Abflug gab es eine Menge zu tun, besonders weil das Ziel der Reise Russland war. Das Land ist nicht unbedingt dafür bekannt, die einfachsten Einreisebedingungen zu haben. Es kam mir merkwürdig vor, dass es in unserer Zeit immer noch so schwer sein konnte, in ein Land wie Russland einzureisen. Unzählige Formulare und Kontrollen waren der Beginn dieser Reise. Von hier an sollten die Dinge den russischen Weg gehen, und soweit ich das zu diesem Zeitpunkt beurteilen konnte, taten sie das auch.

Unser von Haus aus hyperaktiver Moskau-Local Dmitry Fesenko schleifte uns direkt vom Flughafen aus in jede Ecke der Zehnmillionenmetropole. Schade, dass wir für die russische Hauptstadt kaum Zeit hatten, denn nach einem Abend der Eingewöhnung in die russische Kultur bei einigen Gläsern Wodka mussten wir nach einer kurzen Nacht schon wieder zum Flughafen. Wir bestiegen die russische Tupolew, die uns in das rund zehn Flugstunden entfernte Kamtschatka am anderen Ende des riesigen Landes bringen sollte.

Endlich wieder zu reisen war ein gutes Gefühl. Der ganze Trip war wie ein Sprung in ein unbekanntes Universum! Es gab wenige konkrete Details im Vorfeld, dafür jetzt umso mehr Wodka. Nachdem wir die bürokratischen Anfangshürden überwunden hatten, war unsere internationale Crew nun auf dem Weg: Emeric Front aus Frankreich, Juuso Laivisto aus Finnland, Pirates-Filmer Cepten aus Deutschland, Dmitry Fesenko aus Russland, meine Wenigkeit aus Spanien und zu guter Letzt Osa aus Kamtschatka.

An einem kalten, grauen Montag landeten wir in Petropawlowsk-Kamtschatski, der Hauptstadt Kamtschatkas. Es ist keine besonders repräsentative Hauptstadt. Der Anblick von im Sowjetstil gebauten Hochhäusern, aufgrund des immensen Erdbebenrisikos nicht höher als fünf Stockwerke, schmerzte umso mehr in den Augen, je häufiger wir sie zu Gesicht bekamen. Mit Schlaglöchern übersäte Strassen sowie die hustenden Autos trugen auch nicht wirklich zur Schönheit der Stadt bei. Das alles verblasste jedoch vor der atemberaubenden Natur, die rings um die Stadt zu bestaunen ist. Im Norden der Avachinsky sowie der Koryak-Vulkan, im Süden die riesige Küste von Awatscha, einer der grössten Naturhäfen der Welt. Die Tatsache, dass wir endlich da waren, gab mir ein unglaublich gutes Gefühl. Wir hatten es tatsächlich geschafft! Ich konnte es kaum erwarten, endlich ein paar Vulkane aus der Nähe zu betrachten!

Natürlich war da noch die Sache mit den Bären. Im Flugzeug hatte mir ein professioneller mazedonischer Jagd-Guide ein paar gruselige Geschichten erzählt. Es war nicht so, dass ich unbedingt auf einen Bären treffen wollte; ich stellte mir nur die Frage, wie es wohl ist, da draussen zu sein mit dem Wissen, dass es sie gibt, genauso wie sie wissen, dass du da bist. Je länger ich mir darüber Gedanken machte, desto aufgeregter wurde ich.


Emeric macht ordentlich Dampf im Krater des Vulkans - Emeric Front, Ollie
Emeric macht ordentlich Dampf im Krater des Vulkans - Emeric Front, Ollie

Zurück zu unserer Reise. Auch wenn ich anfangs erwähnte, dass die Details unseres Trips nicht allzu konkret waren (vielleicht waren sie es nach russischer Definition) und ich mir nicht sicher war, ob wir abgeholt werden würden, wartete am Flughafen ein grosser blauer Bus auf uns. Wir packten all unseren Stuff in den Bus und nach einigen Stopps, bei denen wir uns mit dem Nötigsten (hauptsächlich Bier, Wodka sowie Schokolade) eindeckten, tauchte der grosse, rollende blaue Wal in ein Meer aus Schnee ein. Es war ziemlich beeindruckend zu sehen, wie solch ein riesiges Ding einem so schmalen Track folgen konnte. Wahrscheinlich war es für den Fahrer keine grosse Sache, wir hingegen waren erleichtert, als wir nach ziemlich langer Fahrt heil am Ziel angekommen waren: die „Snow Valley Base“, unser Zuhause für die nächsten drei Wochen.

Unser „Zuhause“ bestand aus einer Hand voll Hütten, allesamt ziemlich neu, die vorwiegend den Leuten aus der Stadt als Wochenendunterkünfte dienten. Einige Kids versuchten, die umliegenden Hügel zu shredden, um ein paar Spots zu „shooten“. Es machte den Eindruck, als wäre die Snowboard-Szene hier gar nicht mal so klein, was aber nicht heissen soll, dass die Kids es einfach hätten in Bezug aufs Snowboarden. Das einzige „Resort“, das ihnen zur Verfügung steht, ist ein kurzer Lift auf einen Hügel nahe der Stadt. Trotz des spärlichen Angebots schien es, dass hier eine neue Snowboard-Generation heranwächst. Snowboarden zu gehen steht sicher nicht an erster Stelle auf der Liste der Kamtschadalen, trotzdem gab mir der Kontakt mit den Locals ein gutes Gefühl. Leute, die diesen Sport vor noch nicht allzu langer Zeit für sich entdeckt hatten, versuchten, so viel wie nur irgend möglich davon zu geniessen, und gaben nicht viel auf Trends. Bei den Locals steht die Leidenschaft im Vordergrund, das merkte man deutlich.

Neben den Snowboardern gab es noch eine andere Gruppe von Leuten, die sich dort draussen trafen: die Slednecks, ein komplett anderer Schlag Mensch. Deren erklärtes Ziel war es eindeutig, so viel wie möglich zu trinken und mitten im Nirgendwo Party zu machen. Einige wenige suchten vielleicht auch die Ruhe, die sie in der Stadt nicht finden konnten, aber die Mehrheit war wegen der Party da. Bitte versteht mich jetzt nicht falsch, ich kann gar nicht genau sagen, woraus dieser Eindruck entstanden ist, den ich von diesen Leuten bekommen habe. Vielleicht spielte eine Rolle, was andere Russen uns erzählt hatten, vielleicht war es aber einfach nur meine persönliche Erfahrung. In den vielen Stunden des Feierns und Trinken ist bei mir jedenfalls der Eindruck entstanden, dass der Grossteil dieser Leute nicht sonderlich kultiviert wäre und sie eher anstrengend rüberkämen.


Schwefelschlote lassen die Gegend übelst nach faulen Eiern stinken
Schwefelschlote lassen die Gegend übelst nach faulen Eiern stinken

Zurück zu unserer Mission. Den Schritt zu gehen und im Frühjahr nochmals in die Snowboard-Klamotten zu steigen, die schweren Rucksäcke zu schultern und einen heftigen Sonnenbrand am ersten Sonnentag einzufangen, war nicht leicht. Die Saison war für uns schon endlos lang und kräftezehrend. Wir waren ausgelaugt, was für solch eine Reise nicht von Vorteil war. Als wir die Möglichkeit zu dem Trip bekamen, war mir von Anfang an klar, dass ich mir diese Chance auf keinen Fall durch die Lappen gehen lassen konnte.

Dank der Hilfe einiger russischer Fahrer, die schon vor Ort waren, machten wir uns mit unseren Sleds auf, die Umgebung zu erkunden. Die Schneebedingungen waren leider nicht allzu gut, die ständig wechselnden Wetterbedingungen machten es schier unmöglich, auch nur eine halbwegs zuverlässige Aussage für den nächsten Tag zu treffen. Hatten wir nach langer Suche dann endlich einen Spot gefunden, gab es Probleme mit der Landung und dem In-Run. Das lange Suchen frustrierte, aber wir wollten uns die nötige Zeit nehmen und gaben die Hoffnung nicht auf. Auf jeden Fall mussten wir das wenige gute Wetter ausnutzen, um ein paar vernünftige Shots in den Kasten zu bekommen. Diese Art zu arbeiten war nicht nur ermüdend, sondern auch mental anstrengend. Ich erinnere mich daran, dass meine schlechte Stimmung ein paar Tage andauerte, nachdem die Suche wieder einmal erfolglos verlaufen war. Jeden Morgen hoffte ich, in einer besseren Stimmung aufzuwachen. Wenn das dann aber mal der Fall war, hielt sie gerade so lange, bis die erste Sache wieder nicht klappen wollte. Aber ich gab nicht auf und die Dinge wurden tatsächlich etwas besser. Unsere Suche hatte endlich Erfolg und wir fanden einige gute Kicker-Spots. Allerdings verliess uns das Glück nach zwei Kicker-Sessions auch schon wieder und eine hartnäckige Schlechtwetterfront zwang uns zur Rückkehr in die Stadt.

Die Stadt, deren Namen ich vorher noch nie gehört hatte und bis heute nicht richtig aussprechen kann, wurde 1740 von dem dänischen Forscher Vitus Bering gegründet. Zur Geschichte nur eine kleine Anekdote: Die französische und die britische Armee befanden sich 1854 im Krieg mit Russland. Beim Versuch, Petropawlowsk-Kamtschatski mit Schiffen, Kanonen und mehr als 2.500 Soldaten zu erobern, scheiterten sie am Widerstand der weniger als 1.000 russischen Soldaten mit deren gerade mal 68 Gewehren!

Die raue Mentalität der Einwohner, die hier überlebenswichtig zu sein scheint, kann ich nur bestätigen. Dieser Flecken Erde ist nicht unbedingt der beste und sicherste Platz zum Abhängen. Trotz alledem führten uns die Locals durch die Stadt und wir hatten Zeit, das Nachtleben zu geniessen, bevor es für uns wieder Zeit war, Abschied zu nehmen. Der blaue Wal verschluckte uns aufs Neue und spuckte uns in unserem Zuhause ausserhalb der Stadt wieder aus.


Eines der an Keuchhusten leidenden
Eines der an Keuchhusten leidenden

Wir näherten uns der letzten Woche unseres Aufenthalts, und obwohl wir unser Bestes gaben, sahen die Dinge nicht sehr produktiv aus. Das Wetter war immer noch nicht besonders gut und langsam, aber sicher schwand auch das letzte bisschen Motivation. Glücklicherweise hielt das Land jedoch noch einige Überraschungen für uns bereit.

Kamtschatka hat die dichteste Bärenpopulation der Welt und die dortigen Bären können sich, was die Grösse angeht, auf jeden Fall mit den amerikanischen Grizzlys messen. Durch ihren fast fleischlosen Speiseplan legen sie aber nicht solch ein aggressives Verhalten an den Tag wie ihre amerikanischen Kollegen. In neun von zehn Fällen ergreifen sie lieber die Flucht, als mit Menschen in Kontakt zu kommen. Wenn der zehnte Bär sich jedoch anders entscheidet, bleiben dir nur zwei Möglichkeiten: rennen oder schiessen. Auf jeden Fall bleibt dir keine Zeit, in Panik zu geraten.

Wir selbst haben nicht mehr als ihre Fussstapfen zu Gesicht bekommen. Eines Tages aber erzählte uns ein Einheimischer, dass er einen Bär gesehen hätte. Und zwar genau an dem Platz, an dem wir einen Kicker über ein wirklich schönes Gap gebaut hatten. Sollten wir es wagen? Da wir aber in keinster Weise für eine Konfrontation mit einem Bären ausgerüstet waren, entschieden wir uns dagegen. Schliesslich können diese Bären, wenn es darauf ankommt, bis zu 60 km/h schnell rennen und wir waren nicht sicher, ob wir im Notfall mit unseren Sleds schnell genug wären, um einem aus dem Winterschlaf erwachten und dementsprechend hungrigen Meister Petz entkommen zu können. Hätten wir uns anders entschieden, wer weiss, vielleicht würden diese Zeilen hier dann gar nicht stehen…

Gegen Ende wartete noch ein Highlight auf uns: der Trip zum Vulkan! In Kamtschatka gibt es insgesamt 160 Vulkane, davon sind 29 aktiv. Der höchste von ihnen ist der Kliuchevskoi, der mit seinen 4.835 Metern sogar den Mont Blanc überragt. Die Halbinsel Kamtschatka ist extrem sensibel, was Erdbewegungen anbetrifft, die Anzahl der Erdbeben ist dementsprechend hoch. Glücklicherweise bekamen wir bei unserem Aufenthalt davon nichts zu spüren.

Die dreistündige Fahrt zum Mutnowskij verging wie im Flug. In dem vorwiegend flachen Gelände drehten wir den Gashahn unserer Sleds ordentlich auf und nach einem kurzen Hike standen wir mitten im Vulkan. Stell dir vor, du gehst eine Strasse entlang und nach einer Kurve öffnet sich vor dir ein riesiges Rundell aus Felsen und Schnee. Grosse Löcher mit kochendem Wasser, die Oberfläche von Rissen durchzogen, aus denen ständig heisser, weisser Rauch aufsteigt. Wegen des Schwefels kommt noch ein Gestank wie von verfaulten Eiern dazu. Keine besonders angenehme Umgebung, was uns aber nicht abschrecken konnte. Wir fanden einen kleinen Spot, und nachdem ich Emerics kurzen Run im Kasten hatte, machten wir uns auch schon wieder auf den Rückweg.

Unsere letzte Nacht verbrachten wir mit den Leuten, die wir hier kennengelernt hatten, und einigen anderen, die übers Wochenende vorbeischauten. Wir hatten also ein entspanntes Abschieds-Wodka-Trinken in der Ruhe und Abgeschiedenheit unseres Camps. Am nächsten Tag kam das Flugzeug und brachte uns wieder in unser richtiges Zuhause. Das Zuhause, in dem es keine Bären und keine Vulkane gibt, ein Platz, an dem wir uns sicher fühlten. Zumindest so lange, bis wir zu einem neuen Trip aufbrechen würden. Keiner wusste, wohin dieser uns führen würde, aber wenn es wieder Richtung Osten gehen würde, hätte ich nichts dagegen.

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