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Decathlon, Decathlon Snowboards, Wedze

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Decathlon Snowboards – Fluch oder Segen?

Der französische Sportartikelhersteller Decathlon baut seine eigene Snowboardmarke aus und will sich endgültig im Wintersport etablieren. Das stößt auf wenig Gegenliebe. Warum eigentlich?

Decathlon will einen festen Platz in der Snowboard-Industrie einnehmen und hat dafür mit R&D-Team, Produktionsstätten und Testgeländen am Mont Blanc Bedingungen geschaffen, von denen manche Brands nur träumen. In der Snowboard-Szene erhält dieser Vorstoß so viel Gegenliebe wie RB Leipzig in der Bundesliga oder veganes Essen in Autobahnraststätten. Manche befürchten den Tod des Einzelhandels, andere schlechte Qualität der Produkte. Skepsis machte auch vor den Türen des MBM-Büros nicht Halt, weswegen wir zum Headquarter in die französischen Alpen reisten, um mehr über Decathlon Snowboards zu erfahren.

Zuckerberg am Mont Blanc

Statt eines überdimensionalen Wellblechcontainers in blauweißen Farben ist Decathlons Firmenzentrale für Wintersport ein Holz-Prachtbau, der selbst Silicon Valley-Hipstern Respekt abverlangen würde. Direkt neben einem kleinen Bach steht das braune Ufo mit seinen großzügigen Büros, von wo aus man den Mont Blanc wie eine Fototapete sehen kann. Im Herzen des Gebäudes ist der Mountain Store und eine Etage tiefer eine zweite Verkaufsfläche, die zum Üben genutzt wird. Vom Autobahn-Industriegebiet-Chick, wie man ihn von manchen Stores kennt, ist man hier meilenweit entfernt.

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Decathlons Headquarter in Passy, Frankreich

Sport für alle

„Möglichst vielen Menschen die Freude am Sport zu ermöglichen“, ist seit der Gründung Decathlons 1976 der Firmenleitsatz, erklärt uns Snowboard-Produktchef Philippe Tiercin. Um das einhalten zu können, gibt es in den Decathlon-Stores Artikel aller Sportarten unter einem Dach – von Ping-Pong-Schlägern über Tauchausrüstung bis hin zu Snowboards. Mit mehr als 1500 Filialen weltweit wird außerdem dafür gesorgt, dass nicht nur westliche Großstädter Zugang zu Sportartikeln haben, sondern auch Menschen aus ländlicheren Regionen. Laut Decathlon probiert das Unternehmen deshalb, die Preise stets so günstig wie möglich zu halten, damit nicht unbedingt der Kontostand Menschen daran hindert, verschiedene Sportarten auszuüben. Klingt nobel – und tatsächlich bekommt man wohl in kaum einem Geschäft Sportartikel so preiswert wie bei den Blauweißen: Snowboards für unter 200 Euro, Winterjacken für ‘nen Hunni oder Schneebrillen für 44,99 Euro.

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Diese himmlischen Preise sind allerdings auch Decathlons vermeidliche Schwachstelle. Denn “wie soll ein Produkt mit einem Markenartikel mithalten, wenn es ein Drittel davon kostet?”, hinterfragen Kritiker. Oder: “Wie kann unter Einhaltung humaner Grundwerte produziert werden, wenn Sportartikel zum absoluten Kampfpreis angeboten werden?” Und “macht Decathlon mit seinen Preisen nicht den Einzelhandel kaputt?” Mit diesen und weiteren Vorwürfen konfrontieren wir die Führungsetage von Decathlon Snowboards. Ihre Antworten überraschen uns.

Das Haar in der Suppe

Decathlons Produktmanager Philippe reagiert auf die Preiskritik gelassen. „Wir produzieren in den gleichen Fabriken wie einige bekannte Snowboardmarken, nutzen die gleichen Materialien“, sagt er. Das Produkt nur an dem Preis zu messen, sei deshalb falsch. „Bei Decathlon haben wir ein komplett anderes Geschäftsmodell, was es uns erlaubt, die Produkte viel günstiger anzubieten.“ Damit meint er: Decathlon verzichtet trotz seiner Größe komplett auf Sponsoring von Athleten und sieht auch keinen Grund, viel Geld in Werbung zu stecken. Den größten finanziellen Vorteil hat das Unternehmen jedoch aufgrund seiner Größe. Während Wettbewerber für Materialien verhältnismäßig viel Geld zahlen müssen, kann Decathlon Mengen ordern, die für viel Ersparnis sorgen.

“Funktion und Preis sind die wichtigsten Faktoren für uns” – Produktmanager Philippe

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So funktioniert Decathlons SNB-100-Click-Bindung

„Außerdem verzichten wir bei unseren Produkten auf nicht zwingend notwendige Features“, sagt Philippe und erklärt: „Schauen wir uns die Jacken an. Da nehmen wir die gleichen recycelten, umweltfreundlichen Stoffe wie andere Firmen. Doch verarbeiten wir diese anders: Statt teuren Reißverschlüssen nehmen wir günstige und lassen ein Stück Stoff über diese lappen, um sie abzudichten. Oder Brusttaschen: Die kann man so schneidern, dass sie hauptsächlich modisch sind und viel Zeit bei der Produktion in Anspruch nehmen. Wir gestalten das Design so, dass Arbeitsschritte in der Produktion gespart werden können und machen das Produkt dadurch günstiger. Funktion und Preis sind die wichtigsten Faktoren für uns.“

Um dennoch verschiedenen Anforderungen gerecht zu werden, bietet Decathlon seine Artikel stets in drei Preiskategorien an: Die 100er-Serie für Basic-Produkte und Low-Budget, die 500er-Serie fürs mittlere Preissegment und die 900er-Serie für viel Komfort, die eben ihren Preis kosten. Allerdings ist selbst die 900er-Serie im Normalfall wesentlich preiswerter als Konkurrenzprodukte und beinhaltet auch nicht mehr Features, als Decathlon für notwendig hält.

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Die Prototypen werden im Headquarter in Frankreich hergestellt und auf den Pisten nebenan getestet, bevor sie in Serie produziert werden.

Decathlons Zielgruppe

„Wir haben eine große Verantwortung gegenüber dem Kunden“, sagt Pierre Coly, Brandmanager bei Decathlon Snowboards, als er uns durch die Firmenzentrale führt. Schließlich erfordert der Leitsatz „Sport für alle“ nicht nur günstige Produkte überall auf der Welt, sondern auch Sportartikel, die Aktivitäten so einfach wie möglich machen. „Unser Ziel ist es, dass man sich beim Sport nur auf den Spaß fokussieren kann“, sagt er und betont, dass eben auch an ältere Leute oder Sportanfänger bei der Entwicklung gedacht wird und eben nicht nur an den Pro. So steht Decathlon weniger für High-End-Produkte, die bei den größten Contests der Welt eingesetzt werden, sondern für Snowboard-Artikel, die von Anfängern, Amateuren und all jenen genutzt werden, die wenig Lust haben, sich beim Shredden zu quälen. Auch möchten Decathlon-Kunden keine Unsummen investieren, da diese für viele unverhältnismäßig zur Häufigkeit der tatsächlichen Nutzung stehen.

Decathlon
In vielen kleinen Schritten werden die Boards der Decathlon-Range ...
Decathlon
...im Headquarter nach branchentypischen Fertigungsverfahren gebaut.

Im Snowboard-Segment steht besonders ein Produkt für diesen Anspruch: die SNB-100-Click-Bindung. Diese Art einer Step-in-Bindung für den hinteren Fuß ist Decathlons jüngster Coup. So sollen Hobby-Snowboarder auf das ewige Ratschen vor und nach der Liftfahrt verzichten können und im Handumdrehen ihr Bein vom Board lösen. Die Bindung ist besonders für Anfänger, die Ziehwege oder ähnliches nicht schwungvoll meistern, gedacht.

Decathlons Produkte mögen in Profi-Tests nicht mit den Boards der besten Rider der Welt mithalten – aber dafür wurden sie auch nie designt. Ein wichtiger Schritt beim Verstehen des Decathlon-Kosmos ist es, nachzuvollziehen, dass die Franzosen nicht als Konkurrenz in die Core-Szene eindringen wollen, sondern sich vielmehr da positionieren, wo die etablierten Marken kaum stattfinden. Decathlons Preis- und Produktpolitik spricht eben jene Shredder an, die es nur selten an den Hang schaffen und solche, die mit Snowboarden nicht gerade ihr Geld verdienen. Die, die eines Tages in die Core-Szene vordringen wollen, werden auf dem Weg dahin von Decathlon-Produkten durch günstige Preise und einfach zu fahrende Produkte (die natürlich irgendwann an ihre Grenzen stoßen) unterstützt.

Blau oder grün?

Umweltschutz ist für viele das letzte, woran sie bei dem Wort Decathlon denken. Produziert der Sportartikelgigant schlechter als die anderen Marken? In einem offiziellen Statement von Decathlon heißt es dazu:

„Die Nähe des Verkaufsortes ist für uns bei der Wahl des Produktionsorts ein wichtiger Punkt. Das hat natürlich einerseits ökonomische Gründe, andererseits aber auch ökologische. Der reduzierte Warentransport – per Luftfracht beispielsweise – verringert die Belastung der Umwelt. […] Während die Eigenmarken mit ihren Forschungs-, Entwicklungs- und Designteams komplett in Frankreich sitzen, findet die Herstellung der Produkte neben Europa auch teilweise im Ausland statt. Momentan werden 18 Prozent unserer Artikel in Europa und 79 Prozent in Asien hergestellt. Außerdem produzieren wir in Nordafrika und Südamerika. Bei all unseren industriellen Partnerschaften, unabhängig vom Artikel, Produktionsort und Material, ist es uns wichtig, dass diese exklusiv und nachhaltig sind. Wir sind stets bemüht, die Umwelt- und Sozialstandards einzuhalten und mit den besten Lieferanten zusammenzuarbeiten.“

Brand-Manager Pierre
Produkt-Manager Phillipe

„Wir haben ethische und soziale Ansprüche“, sagt Pierre und betont, dass Umweltschutz bei Decathlon genauso groß geschrieben wird wie bei Marken, die diesen stark kommunizieren. Warum kommuniziert Decathlon das dann nicht?, wollen wir wissen und bekommen eine Antwort, die erklärend, aber auch verstörend ist. „Sich als ‚umweltfreundliche Firma‘ zu outen, ist heutzutage sehr heikel“, gibt Philippe zu. „Denn wie umweltfreundlich sind diese Firmen letztendlich wirklich? Auch wir nutzen recycelte Stoffe, probieren stets, in großen Stückzahlen zu ordern, um unnötige Frachten zu vermeiden und wechseln nicht jeden Winter unser Sortiment, um die Langlebigkeit zu fördern. Aber natürlich gibt es in der Produktion immer Schritte, die einen ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Sich also an die Öffentlichkeit zu wenden und sich als besonders umweltfreundlich auszugeben, sollte deswegen gut überlegt sein.“

Um die Nachhaltigkeit weiter anzukurbeln, können Kunden ihre Artikel jederzeit zurückgeben. Diese werden anschließend entweder recycelt oder kommen erneut in den Verkauf. In Deutschland wird inzwischen die Reparatur von Boards angeboten, in Frankreich sogar auch von Klamotten.

Decathlon

Seriously Playfull

„Wir sind keine Wettbewerber zu Burton oder anderen Global Playern“, sagt Philippe zum Abschluss. „Wir produzieren unter den gleichen technischen Standards, mit den gleichen Materialien, aber wir sprechen eben auch Leute außerhalb der 15- bis 25-Jahre-Range an. Wir designen für Anfänger, Fortgeschrittene und Experten – aber eben nicht für Pros.“

Wer letzten Satz berücksichtigt, wird viele Zweifel an Decathlon wohl relativieren können. Denn Decathlon kann und will nicht in die Core-Szene eindringen und andere Brands verdrängen. Darauf ist weder das Firmenkonzept noch die Snowboard-Range angelegt. Ihre Produkte helfen besonders Anfängern und Hobby-Snowboardern, überhaupt Zugang zum Sport zu bekommen. Das Konzept, wie wir es aus der Core-Szene kennen, und das, was Decathlon in den Stores weltweit anbietet, kann koexistieren. Es kann sich sogar gegenseitig stützen.

Wohl kaum ein Anfänger will mehrere Hundert Euro ausgeben für ein Snowboard-Set, ohne zu wissen, ob ihm der Sport überhaupt gefällt. Andererseits befriedigen auch die durchgerockten Leihboards nicht alle Beginner. Genau in diese Lücke passt Decathlon perfekt rein. Das Firmenkomnzept hilft dabei, den Sport weiter wachsen zu lassen, indem es Leute anspricht, für die Wintersport bisher nicht infrage kam. Und das kommt allen von uns zugute – auch den Shops, die derzeit noch in Aufruhr sind.

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