Vorurteile sind scheisse. Wenn uns aber jemand mit „Familienskigebiet“ oder „Austragungsort des FIS Skiweltcupfinale“ kommt, sind wir als Snowboarder von Natur aus erstmal skeptisch. Nichtsdestotrotz wagten wir im letzen März das Abenteuer und hissten die Flaggen der 9. Monster Session nur eine Woche nach dem FIS Skiweltcupfinale im Familienskigebiet Lenzerheide. Wir zogen ins neu nach unserem Gusto eröffnete Hotel Kurhaus ein, holten uns von Spanien bis Russland 12 multikulturelle Crews aus Pros, Filmern und Fotografen dazu und liessen ihnen für eine Woche freie Hand. Sechs produktive Shooting-Tage später stand definitiv fest, dass Vorurteile eben doch nur dazu da sind, über Bord geworfen zu werden.
Bastis Schwarzhornfahrer
Um es vorweg zu nehmen: Unser Fotograf Basti Gogl und seine Crew um Gian-Luca Cavigelli, Severin de Courten, Aron Holtermann und Stefan Gimpl waren nicht gerade mit Glück gesegnet während der Monster Session-Woche. Dabei lief anfänglich alles perfekt. Basti war schon am Sonntag am Berg, um sich von einem Local Secret Spots wie den Run vom Schwarzhorn hinunter nach Tschiertschen zeigen zu lassen. Und am Montag staunte die Crew nicht schlecht, als Basti ihnen einen Kickerspot mit perfekter Powderlandung präsentierte. Leider verdrehte sich Severin schon beim ersten Sprung das Knie. Ihn sah man folglich nur noch an der Hotel-Bar. Und auch die restliche Woche meinte es das Schicksal nicht gut. Entweder war Arons Belag zu trocken, seine Bindung ging zu Bruch, der Kicker funktionierte nicht, oder eine andere Crew kam ihnen zuvor… Die Fotoausbeute kann sich trotzdem sehen lassen. Gian-Luca legte mit seinem Wechten-Drop den Grundstein zu einer Freeride-Karriere und auch der Cab 900 First-Try von Steff gehörte wohl zum härteren Kaliber, was in den Lenzerheidner Schnee gesetzt wurde. Alles in allem haben sich die langen Autofahrten von und nach Tschiertschen also vollauf gelohnt.
Burton Kids
Morgens die ersten beim Frühstück, abends am längsten in Boots unterwegs. Hätten wir den Energieverbrauch jeder Crew gemessen, wären die Kids um Kevin Backström, Anthony Smits und Wolfgang „Wule“ Wanner mit Zugpferd und Fotograf Cyril Müller sicherlich mit einem Orden von der Lenzerheide gegangen. Nachdem ihr Erstprojekt der Lawinengefahr zum Opfer fiel, schaufelten sich die Jungs im Garten des Hotel Kurhaus einen Mini Shred, rockten einen Stein und killten einen Grassride. Wobei letzterer Wule doch einiges an Überwindung kostete. Anthony Smits erlebte den Rausch seines Lebens, als er im Lenzerheider Backcountry den grössten Booter seines Lebens schaufelte. Die Enttäuschung war gross, als die Jungs von dem Lawinenunglück von Kalle Ohlson und Micael Lundström nur wenige Meter neben ihrem Kicker erfuhren, und das Projekt somit canceln mussten. Dies hielt die Inkarnation des Duracell-Bunnys Kevin Backström jedoch nicht davon ab, an jeder erdenklichen Kante Switch Frontflips in den Schnee zu stellen, oder auf den Partys mehr Frauenküsse einzuheimsen als sein Teammanager. Wenn da mal nicht jemand mit knappen 14 Lenzen die stolzeste Wochenbilanz nach Hause trug…
Bündner Wald-Boardercrosser
Gian Simmen, Sina Candrian und Phillip Ruggli trafen müde auf der Monstersession ein. Sina kam soeben mit dem 5. TTR-Schlussrang von einem 5-wöchigen Contest-Marathon durch Nordamerika zurück. Gian und Philipp reisten direkt von einem Fototrip aus Åre an die Monster Session. Die guten ersten Tage hatte die Crew bereits verpasst, und so hielt sich die Motivation in Grenzen, als sie auf dem Gipfel nur noch verspurte Hänge und matschigen Schnee fanden. Ihr Alternativprogramm beschränkte sich in der Folge auf niedrige sowie horizontale Lagen – sprich auf den Wald und das Bett. Snowboardaction gab es in Form eines Baum-Jibbs. Wobei die Action vor allem darin bestand, den slalom-artigen Inrun mit Minigap, Push-Roller und Steilwandkurven heil zu überstehen. Gian und Philipp shooteten zudem noch eine kreative Nachtaktion mit Ollies über ein geklautes Verkehrsschild. Das Foto gab auf der Abschlussparty dementsprechend zu reden; ganz im Gegensatz zu Gian, Sina und Phillip, die zu dieser Uhrzeit lieber die weichen Kissen des Hotel Kurhaus knutschten.
Die mit den Schutzengeln springen
Als die Crew um die Fotografen Matthieu Georges und Mathieu Giraud am ersten Sonne-und-Neuschnee-Tag auf dem Gipfel angekommen war, blickten sie auf einen Skulpturengarten voll fertig geshapten Obtsacles. Den Nachzüglern war klar, wenn sie da noch ihren eigenen Kicker reinsetzen wollten, würde dies in einem chaotischen Kreuz-und-Quer-Gehüpfe mitsamt Fremdkollisionen ausarten. Also seilten sie sich ab und schaufelten ihren Kicker einige hundert Meter tiefer an einen Spot mit extrem steiler Landung. Nachdem der Kicker stand, kraxelten Kalle Ohlson und Micael Lundmark als erste die Landung hoch. Was dann passierte, beschreibt Kalle folgendermassen: „Plötzlich riss Micael ein Schneebrett ab. Wir rutschen bis ins Flat der Landung und bekamen Panik. Ich schrie und hörte Micael neben mir schreien. Dann war plötzlich Stille, wir lagen unter zwei Metern Schnee begraben. Ich dachte, das wär’s, denn mein Pieper funktionierte nicht. Als die anderen Micael nach kurzer Zeit befreien konnten, zeigte er ihnen, wo ich verbuddelt war. Mir wurde schon die Luft knapp, da spürte ich ihre Schaufeln an meinem Bein. Schutzengel sehen wohl wie Marco Concin und die beiden Mathieus aus.“ Dass danach ziemlich der Saft raus war, ist selbstredend. Man soll seine Schutzengel nicht zu häufig herausfordern!
Finnlands Kampftrinker
Mit Ausnahme vom frisch gebackenen US Open-Dritten Markus Malin machten Vesa Nissinnen, Tomi Passi, Teo Konttinen und Fotograf Peter Hasselgren dem vermeintlichen Vorurteil, Finnen seien Vieltrinker, alle Ehre. Als ob die da oben keinen Alkohol hätten, gehörten die Jungs allabendlich zu den „Last Men standing“. Dementsprechend lange waren die Gesichter beim Frühstück, und dementsprechend spät stand die farbige Truppe am Berg. Doch was soll’s, der Grossteil der Crew hatte in bester skandinavischer Greenhorn-Manier keinen Pieper auf die Monster Session gebracht und somit kamen frühmorgendliche Powder-Lines so oder so nicht in Frage. Zudem mangelte es den Jungs an Schaufeln, was den Obstacle-Bau zu einer wahren Herausforderung werden liess. Glücklicherweise konnte der MBM-Vorstand mit zwei Spaten aushelfen. Was die Werkzeuge der anderen vier Genossen angeht, die dürften nach wie vor einem Lenzerheider Haushalt fehlen… Die schlechten finnischen Manieren seien verziehen! Zur Dia-Show auf der Afterparty überraschte die Chaos-Mannschaft doch mit einem ansehnlichen Shot-Arsenal. Und schliesslich werden sie laut Peter nächstes Jahr zurück sein – stärker, produktiver und mit noch härteren Powderlines!
The NBC Money-Makers
Dominic „Howzee“ Zimmermann hatte es von Anfang an nicht leicht. Dem Fotografen der NBC Crew wurden direkt nach seiner Ankunft Falschinformationen eines Konkurrenten zugespielt, die ihn auf die powder-technisch uninteressantere Valbella-Seite lockten. Nach einem verlorenen Tag konnte die Quelle jedoch enttarnt werden, und der Spion musste als Wiedergutmachung seine Geheimspots aufdecken. Diese Infos liessen die NBC’s am nächsten Tag die besten Spots des Tages shooten ohne dafür suchen zu müssen. Durch diesen Zeitvorsprung konnte sich jeder der Jungs auf seine Spezialmission vorbereiten. Cyrill Eidam entdeckte im Tal einen Babylift mit vielen bunten Quadern, die Tetris-ähnlich gestapelt hohes Covershot-Potenzial besassen. Raphi Rocha feilte an seinem Ass-im-Ärmel, wodurch er schliesslich als Chipleader aus der MBM Pokersession, die in der herrschaftlichen Lounge des Kurhauses ausgetragen wurde, hervor ging. Und Nik „Fizzel“ Huber kletterte auf eine Tanne, die sich unter seinem Gewicht langsam zur Seite neigte und mit Nik in der Spitze hängend mit einem lauten Knack auf die Piste krachte. Autsch! Als wäre dies nicht Warnung genug gewesen, fing Mike Knobel unter den skeptischen Augen der zuschauenden Crewmitgliedern an, einen Hit durch den Tannenwald zu bauen. Unnötig zu sagen, was dann passierte: Knack und Autsch, natürlich!
Die Rossis
Mit Eric Bergeri hatte die Rossignol-Crew um Heinz Löhle, Manuel Bernert und Mathieu Justafré einen erfahrenen Fotografen am Start, der sich vor allem im hochalpinen Backcountry auskennt. Das zahlte sich für Heinz und Manuel aus, die schon am ersten Tag mit Eric die berüchtigte Powderroute von Lenzerheide nach Tschiertschen fuhren. 15 Kilometer Freeride, ohne Lift, Piste oder heulende Skischulklassen! Doch in Tschiertschen angekommen, standen die Herren vor vernagelten Türen und Fenstern. Tschiertschen hatte sein Gebiet nämlich bereits geschlossen, und so mussten die Jungs erst eine Stunde auf den Postbus warten, um schliesslich nach eineinhalbstündiger Fahrt doch noch vor dem Hotel Kurhaus abgesetzt zu werden. Mathieu liess das alles kalt, er hatte sich in der Woche vor der Monster Session die Schulter verletzt, konzentrierte sich vollständig auf seine Bar-Skills, und führte die restlichen Monster Session-Teilnehmer in die Trinkgewohnheiten französischer U-Boote ein. Offensichtlich war Manuel bis anhin aber noch kaum auf U-Booten stationiert gewesen, oder zumindest nicht auf französischen. Nach anfänglicher Schlagseite erlitt er auf der Monster Session-Abschlussparty relativ rasch Schiffbruch und katerte am nächsten Morgen ohne Handy, dafür mit 120 Euro Roaminggebühren des unbekannten Diebes auf. Und Heinz? Der parkte seinen Kopf in den frühen Morgenstunden laut schnarchend auf dem Bartresen, und zählte die Party im Nachhinein zu seinen Top 5 Abstürzen der letzten Jahre.
Die Russendisko
Andrey Pirumov, Russlands Starfotograf Nummer 1, ist bereits so was wie ein Stammgast auf der Monster Session. Vor einigen Jahren tauchte er in Disentis/ Sedrun mit einem ebenso mysteriösen wie schmerzunempfindlichen jungen Mann namens Dmitry Fesenko auf, der nach circa 20 überaus harten Abgängen endlich das angestrebte Rail clearen konnte. Mittlerweile kennt Jedermann und vor allem jede Frau in der Snowboardszene den Herrn Fesenko, und für Andrey Pirumov wurde es Zeit, die nächste Generation russischer Snowboarder dem restlichen Europa vertraut zu machen. Also brachte Andrey die Brüder Teymurov, Viktor (19) und Artem (17), in seinem Schlepptau auf die Lenzerheide. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger sind die beiden aber alles andere als eisenfressende Railmaschinen. Nicht zuletzt wegen ihres Vater sund SPC-Russia Shaper Roman, der die beiden von klein weg immer in die Berge mitnahm, haben sich die Teymurov Brüder aus tiefstem Herzen dem Backcountry verschrieben. So bewegten sie sich auch im Hinterland der Lenzerheide überaus sicher und stylisch. Was hingegen die Jibberei und die Mini-Shred-Manie auf der Monster Session angeht, dafür hatte Artem gerade mal ein knappes „Rail is shit“ übrig.
Spanische Grossfamilie
Grundsätzlich bestand die Crew ja zum grössten Teil aus Argentiniern: Der Filmer Martin Campi und auch die drei Fahrer um Fernando und Nicolas Natalucci sowie Facundo Huarriz stammen aus dem Andenland. „Für mich sind wir alles spanische Fahrer“, meint der einzige wirkliche Spanier und Fotograf der Crew Andoni Epelde, „Spanier und Argentinier sind wie eine grosse Familie.“ Die Fünf waren auf einem mehrwöchigen Trip durch die Schweiz unterwegs. Zuvor erwischten die Glücklichen einige der seltenen Powdertage der letzten Saison im nahe gelegenen Davos. Und auch auf der Lenzerheide gehörten sie zu jenen, die Pulverschnee aufwirbeln durften. Sie waren am ersten Tag früh am Berg und konnten First-Lines und Natural-Jumps Richtung „Alp Sanaspans“ shooten. Die nächsten beiden Tage konzentrierten sie sich auf Nahrungsaufnahme und chillen im Hotel, zumindest tagsüber. Nachtsüber vergnügten sie sich damit, Rails zu sliden und Walls zu riden. Spanisches Blut pulsiert eben in der Nacht am liebsten. Mitte Woche gings für den spanischen Eilkurs weiter auf eine 15-stündige Fahrt gen Andorra, wo sie in den Pyrenäen in die Startnummern des „TTR Total Fight“ schlüpfen wollten.
Tschechische Mafia
Eigentlich hätten Filmer Peter Velek und Fotograf David Blazek mit ihren Schützlingen Jan Zajic, Jan Necas, Vasek Kutil und Roman Dlauhy zum Monster Session-Beginn ankommen müssen. Doch da der Arlberg-Powder selbst für Autoschlüssel verdammt tief sein kann, und Jan Necas zuvor im selbigen mit offenen Hosentaschen freeriden war, erreichte der Ostblock die Lenzerheide mit Schlüsselersatz erst zum Schneefall am Dienstagmorgen. Als sich der Himmel am Dienstagnachmittag lichtete, trampte die Crew mit dem Rest der Monster Session-Belegschaft auf dem Rothorn Richtung Kicker Bowl, nur um dort festzustellen, dass die Booter der anderen bereits standen und in diesem Eck kein Spot für Tschechien übrig blieb. Doch das Glück war der Crew hold: In nächster Nähe fanden die Jungs eine Mulde mit so viel verwehtem Schnee, dass selbst Waschmaschinen-Landungen keine Gefahr darstellen würden. Fünf Stunden vereinte Manneskraft später prangte die Schweizer Form des „Hradschin“ vom Rothorn. Und so viele Touristen wie der Hügel mit der Prager Burg jährlich an Touristen anlockt, so viele Tricks entlockten die Jungs innerhalb kürzester Zeit diesem Kicker. Genug jedenfalls, um trotz verspäteter Anreise sich verfrüht auch wieder gen Osten abzumelden. Na shledanou!
Völkl’sche Stippvisite
„Gut Ding braucht Weile“ mag jenen gelegen kommen, die eine Ausrede für ihr 19. Semester BWL benötigen, dem Völkl-Team hingegen war die Redensart auf der Monstersession so fremd wie den Wüstenbewohnern Schnee. Trotz kurzen Aufenthalts hinterliess die Crew um Simon Schweiger, Quentin Robbins, Michi Stanschitz, Louis Purucker, Fotodawg Alex Papis und Filmer Chris Garside aber einen bleibenden Eindruck bei allen Anwesenden. Aus irgendeinem Grund gelang es den Völkels, dem B-Daddy Cyril Müller seinen Monsterkicker abzuschwatzen, den die Burton-Kids zuvor in stundelanger, harter Schufterei (um es nicht „Kinderarbeit“ zu nennen) ins Backcountry gestellt hatten und ihn letztlich wegen Lawinengefahr nicht hitten konnten. Nachdem die Völkl-Crew das Ding sehr lange und eingehend studiert hatte, liess es sich der Stammesälteste Quentin Robbins nicht nehmen, den Booter mit einem astreinen und vor allem massiven Backside 7 in die Knie zu zwingen. Doch auch Michi Stanschitz machte keine Gefangenen und stylte einen 30 Meter-Frontside 5 über den Booter. Laut Michi waren es überhaupt drei extrem lässige Tage, die mit dem gelungenen Pokerturnier einen super Abschluss fanden, bevor sich die Völkl-Crew wie zuvor die Spanier nach Andorra zum „Total Fight“ verabschiedete.
Schweiz-Österreichischer Doppelpass
Als eine Art Testlauf für die nächstjährige Fussballeuropameisterschaft könnte man die Zusammensetzung der folgenden Crew bezeichnen, die sich um den polnischen Fotografen Jarek Mozdynski scharte: Julia Baumgartner und Peter Sandner aus Österreich Seite an Seite mit der Schweizer Fraktion bestehend aus Manuela Pesko, Sina Candrian und Philipp Scheuble. Sie hatten sich gemeinsam zum Ziel gesetzt, die gesamte Bergregion um die Lenzerheide unsicher zu machen. Schamlos nutzten sie dabei den Heimvorteil aus, den die amtierende Halfpipe-Weltmeisterin sowie Lenzerheide-Local Manuela Pesko mit sich brachte. Ihr „Kolleg“ Philipp Scheuble, seines Zeichens Guide und Freerider per excellence, konnte trotz der eher bescheidenen Schneelage mit dem ein oder anderen geheimen Powder-Schmankerl aufwarten. Aber auch freestyletechnisch kamen alle mehr oder weniger auf ihre Kosten. Den Kicker den Julia, Peter und Jarek in aufopfernder Arbeit errichtet hatten, blieb auf Grund von Wetterpech zwar ungehittet, dafür zweckentfremdete die Crew zum Schluss eine Almhütte für allerlei Blödsinn.
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