Ich schnalle mir das Board von den Füssen, drehe mich um, betrachte die Line, die ich in den jungfräulichen Powder gezogen habe. Ausser Atem, mit einem Triumphgefühl ähnlich dem, welches man fühlt, nachdem man sich beispielsweise zum ersten Mal die Schuhe selber binden und den an erkennenden Blick seiner Eltern ernten konnte

oder nachdem man wochenlang in seinem Zimmer an sich herumfummelte und eines Nachts tat sächlich eine Fontäne aus dem Joystick schoss, die die Baywatch-Poster mit einer schönen Milchstrasse zukleisterte (vorzugsweise ohne anerkennenden Blick seiner Eltern), mit solch einem Gefühl der Begeisterung betrachte ich nochmals den Hang. Mit meinen wunderschönen blauen Augen fahre ich der Line nochmals nach, vom Peak bis zu mir. Graziöse Radien und perfekte Geraden, proportional so gemischt, wie es nur ein Meister seines Fachs zu vollbringen imstande ist. Ich habe den Berg signiert. Und wie ich meine Line bestaune, verfalle ich plötzlich in eine philosophische Stimmung. Mir wird bewusst, dass ich eine Spur hinterlassen habe. Ich fühle, dass ich mich in der Zeit bewege. Die Line visualisiert ohne Wenn und Aber, dass ich vor fünf Minuten noch nicht hier unten, sondern eben dort oben gewesen bin. Im Alltag bekomme ich das nicht so mit, ich bewege mich in einem Turnus, der sich von Woche zu Woche ständig wiederholt. Montag: Treffen der sich geoutet habenden Narzissten, Dienstag: Sitzung der bekennenden Alkoholiker, Mittwoch: Pokerturnier in der Ausnüchterungszelle, Donnerstag: fröhliche Singprobe mit meinem Kastratenchor, Freitag: irgendein Blind Date (ich treffe mich einfach viel lieber mit blinden Bauseln, denen ist mein schönes Aussehen egal und sie konzentrieren sich von Anfang an auf meine inneren Werte – zu dem fällt somit die Phase weg, in der eine Frau sich zu schade ist, um mit mir zu schlafen, nur weil sie das Gefühl hat, einer mit meinem Gesicht bekommt sowieso jede, und es geht dann schneller zur Sache), Samstag und Sonntag: natürlich Snowboarden – ich habe die Kolumne hier schliesslich nicht bekommen, weil ich gut im Sack hüpfen bin! Man kann also sagen, dass durch meinen sich ständig wiederholenden Wochenrhythmus mein Leben stillsteht.

Aber diese eine Line hat es mir an getan. Sie wird bald zugeweht sein, von anderen Fahrern durchkreuzt oder spätestens in der Frühlingssonne weg-geschmolzen sein. Aber im Moment ist sie ein lautes Zeichen dafür, dass es mich gibt. Ich finde sie wirklich saugeil. Es macht doch tat sächlich mehr high, wenn man eine Line in den Schnee reinzieht, als wenn man ei ne Linie Schnee rauf zieht! Das wirklich Schöne am Freeriden ist ja tatsächlich, dass dank der hinterlassenen Spuren im Schnee noch sichtbar ist, wie man gefahren ist. Bei einem sensationellen Pipe-Run oder einem fetten Trick über einen Kicker ist man da von abhängig, dass es jemand gesehen hat, sonst fehlt irgendwie die Bestätigung. Oder gibt es unter euch etwa noch Leute, die so was nur zum Spass machen, egal ob Leute zusehen oder nicht? Nein? Eben, habe ich mir doch gedacht.

Jedenfalls kann man bei einer schönen Line seine Kollegen noch einen Tag später an den Tatort bringen, um anzugeben. Das kann auch sehr diskret passieren, ohne dass es arrogant oder abgehoben wirkt. Zum Beispiel: „Hey Freunde, jetzt, da ich die Line sehe, fällt mir erst auf, wie geil das gestern war!“ – „Was? Das warst du? Wow, voll geil! Wieso hast du bis jetzt nicht gesagt, dass du dich da runtergehauen hast?“ – „Oh come on, sehe ich etwa aus wie jemand, dessen Ego Schulterklopfen von seinen Kollegen nötig hat? So was macht man doch für sich selber (Augenzwinker zwinker…)“ Und schon hat man dank einer sauberen Line, die die Kommunikation für einen übernimmt, wieder easy bei seinen Leuten gepunktet. Man steht als fetter Snowboarder und bescheidener Mensch da. Was kann es denn noch Schöneres geben?

In diesem Sinne, viel Glück und gute Fahrt!

Words by Duck