Während Fragen der Ökologie auch in der Snowboard-Industrie immer mehr Beachtung finden, ist Snowboarden längst zum Massensport geworden. Das Naturerlebnis droht vielerorts irgendwo zwischen Liftschlange und Schneebar verloren zu gehen. Wer sich der Ballermann-Stimmung auf dem Berg entziehen will, muss sich immer öfter ins Backcountry absetzen oder dem Skigebiet ganz den Rücken zukehren und seine Lines selbst erhiken.
Noch konsequenter ist der Ansatz, gleich im Backcountry zu übernachten. Der junge Walliser Foto-graf Silvano Zeiter hat es probiert und seine Iglutrip-Erfahrungen für euch niedergeschrieben. Mit dabei war auch Martin „Seili“ Seiler, der dem MBM Rede und Antwort stand. Im Anschluss an sein Interview zeigen wir euch, wie man ein Iglu baut und was es bei einem solchen Vorhaben zu beachten gilt.
Tag eins: up, up and away
Die Idee für einen Iglutrip kam uns, also meinen Buddys Jonathan „Johnny“ Anthamatten, Martin „Seili“ Seiler und mir, bereits in der vorletzten Saison. Eine ganze Woche abseits im Powder zu verbringen – so weit der Plan. Wie das Pläne so mit sich bringen, ist deren Umsetzung jedoch meist etwas schwerer. So scheiterte unser erster Versuch im Mai 2008 in Saas-Fee an zu warmen Temperaturen und einem eingebrochenen Iglu. Aufgeben wollten wir aber auf keinen Fall und verabre-deten uns für die nächste Saison zu einem zweiten Anlauf. Neun Monate später war im Februar 2009 der Tag endlich gekommen. Aufgrund der Lawinensituation verlegten wir den Austragungsort von Saas-Fee ins Aletschgebiet und ergänzten die Crew um den Belalp-Local Roger Eggel. Bepackt mit Proviant, Gaskocher und Snowboard-Material machten wir uns frühmorgens unter der Leitung des Iglu-Experten Chris Maibach ins Backcountry auf.
Nach einem längeren Hike fanden wir den perfekten Platz für unser Basecamp und begannen mit dem Bau des Iglus. Nach fünf Stunden schwitzen, Schneeblöcke sägen, aufmauern und fugen stand unsere neue Bleibe. Nun war es an der Zeit, von Iglu-Master Chris Abschied zu nehmen und uns für die erste Nacht im Schnee vorzubereiten. Beherzt wurden noch Schneeküche, Chill Lounge, WC und weitere mehr oder weniger praktisches Inventar aus Schnee geshapt. Ein unbeschreibliches Gefühl ergriff uns beim Zubereiten des Abendessens: Inmitten von imposanter Bergkulisse waren die Windstöße, die unsere Walliser Flagge zum Flattern brachten, das einzige wahrnehmbare Geräusch um uns herum. Uns wurde bewusst, dass wir nun da draußen mit dem Berg alleine waren. Frisch gestärkt durch Fertiggerichte schaufelten wir einen Gap-Kicker über unser Iglu, um uns anschließend gut gewärmt in die Schlafsäcke zu kuscheln.
Tag zwei: drei Sessions unter blauem Himmel
Die Sonnenstrahlen des darauf folgenden Morgens versprachen einen wunderschönen Blue-Bird-Tag. Noch etwas müde von den Strapazen des Vortags, aber trotzdem hoch motiviert machten wir uns zum ersten Kicker-Spot auf. Es folgte eine entspannte Session mit schönen Fs 720’s und Bs 720’s von Johnny und Seili und hohen Bs Rodeos von Roger. Nachdem die Landung verspurt war, machten wir uns zu einem zweiten Kicker-Spot auf. Mit der Verstärkung von Local Jeremiah Schwery, der zu uns in der Einsamkeit auf Besuch vorbeischaute, war schnell ein Takeoff geschaufelt und auch diese Session konnte starten. Ein Dankeschön geht an dieser Stelle an „Jeremitschgi“ – sein Fs 720° konnte sich sehen lassen! Nach diesen zwei Sessions hieß es dann erst einmal chillen im eigens dafür geschaufel-ten Bereich vor dem Eingang des Iglus.
Es wurde diskutiert, gekocht, gegessen und gelacht. Um den Tag produktiv abzuschließen, kramten Roggi, Johnny und Seili noch einmal ihre Boards hervor, um das Gap über das Iglu zu hitten. Beinahe hätte unser Ausflug bei dieser Session ein abruptes Ende genommen: Bei einem Backflip poppte Seili zu wenig ab, versenkte seine Nose im Dach des Iglus und riss ein Loch in dieses. Das Ganze hätte leicht in einem Horrorszenario – von Erfrieren bis hin zu Kuscheln mit dem Yeti – enden können. Gott sei Dank konnten wir das Loch aber mit Schneeblöcken reparieren und fachmännisch abdichten. Seili holte sich danach im dichten Schneegestöber mit einem Fs 180° noch den Shot der Session und machte sein Malheur damit wieder wett.
Tag drei: Glück im Unglück
Am dritten Tag meinte es der Wettergott weniger gut mit uns. Der dichte Nebel schien uns permanent zu verfolgen. Trotz ungünstiger Verhältnisse hatten wir aber noch ein paar Asse im Ärmel bzw. Lines auf Lager. Nach einigen anstrengenden Hikes konnte es losgehen: Als Erster entjungferte Seili eine Line durch ein schmales Felsband. Als Nächstes signalisierte Johnny sein Ready und droppte in einen mittelsteilen, von Felsen durchsetzten Hang – was ihm fast zum Verhängnis wurde. Kurz nach dem Drop-in war ein entsetztes „Holy Moly!“ von ihm zu hören. Denn als Johnny zum ersten Spray ansetzen wollte, löste sich hinter ihm ein fettes Schneebrett. Er wurde von der Lawine erfasst und wie ein Spielball den ganzen Hang hinuntergespült! Glücklicherweise konnte sich Johnny über Schnee halten und wurde nicht verschüttet. Kreidebleich im Gesicht schauten wir uns hinterher den Hang von unten an. Nicht nur Johnny hatte Glück gehabt: Ursprünglich hatte ich die Line von unten fotografieren wollen – und zwar genau von dort aus, wo sich der Schnee nun meterhoch auftürmte… In solchen Momenten wird einem so richtig bewusst, wie unbedeutend und machtlos man im Vergleich zur Natur ist. Nachdem der Schock einigermaßen verarbeitet war, kehrten wir zu unserem Basecamp zurück und jibbten unterwegs noch ein paar Pillows. Mit einem warmen Tee in der Hand ließen wir die Ereignisse des Tages noch einmal Revue passieren, bevor wir uns erschöpft in die Federn bzw. unsere Schlafsäcke sinken ließen.
Sturm beendet vorzeitig unseren Aufenthalt
Als hätte uns die Natur mit der Lawine ihre Kraft nicht schon genug unter Beweis gestellt, weckte uns am vierten Tag ein gewaltiger Sturm. Obwohl das Iglu gut mit lockerem Schnee verfugt war, pfiff der Wind durch die Ritzen hinein. Die Naturgewalten hatten gewonnen, wir packten kurz entschlossen unsere Sachen und machten uns auf den Weg zurück in die Zivilisation. Dort angekommen gönnten wir uns zunächst eine warme Schokolade. Danach machten wir uns auf zur Gondel, die trotz der heftigen Windböen noch in Betrieb stand. Völlig ungewohnt erschien uns auf einmal das Anstellen und das Gedränge der Touristen beim Einsteigen. Entspannt und mit einem leichten Grinsen schauten wir einander an. Trotz der nicht perfekten Bedingungen war der Iglutrip eine einmalige Erfahrung gewesen: abgeschieden von der Zivilisation, nur auf uns allein gestellt, fernab von lästigen Liftschlangen und genervten Bahnangestellten. Nur wir und der Powder!
Interview Martin Seiler:
Seili, warum nimmt man in der heutigen Zeit die Strapazen auf sich und schaufelt ein Iglu irgendwo im Backcountry?
Ich bin einfach gerne draußen in der Natur. Snowboarden ist für mich im Backcountry verwurzelt, deshalb wollte ich erfahren, wie es ist, 24 Stunden am Tag dort zu verbringen. Es war auf alle Fälle eine einzigartige Erfahrung!
Wie bequem schläft es sich im Schnee?
Erstaunlich bequem. Natürlich ist es nicht mit dem eigenen Bett zu vergleichen, aber mit einer guten Isolationsmatte und dem richtigen Schlafsack schläft es sich ganz gut.
Wie oft wechselt man auf solch einem Trip eigentlich die Socken?
Soweit ich mich erinnere, habe ich meine nicht so oft gewechselt. Da wir das Ganze im Hochwinter durchgezogen haben, hatten wir es mit ziemlich trockener Kälte zu tun, wodurch die Sachen nicht so schnell nass wurden. Außerdem kann man die Socken und andere Kleidung über Nacht trocknen, indem man sie mit in den Schlafsack nimmt.
Gab es Momente, in denen du dich zurück in die Zivilisation gewünscht hast?
Ja, bei der Iglu-Gap-Session. Es war bereits fast Mitternacht und es hatte ziemlich stark angefangen zu schneien, als wir die Session mit einem Backflip über das Iglu abschließen wollten. Ich hatte mit Roger noch darüber geredet, ob wir wohl hoch genug übers Iglu flie-gen würden. Als ich es dann versuchte, versenkte ich meine Nose sauber im Iglu und riss ein stattliches Loch in die Wand. Da standen wir dann: mitten im Nirgendwo in stockdunkler Nacht bei Kälte, sausendem Wind und starkem Schneefall – nicht sehr angenehm! Zum Glück konnten wir das Loch mit Schneeblöcken wieder einigermaßen verschließen.
Auf was muss man bei der Planung eines solchen Trips achten?
Man sollte sich beim ersten Mal auf jeden Fall an jemanden wenden, der bereits Erfahrung mitbringt. Uns hat Chris Maibach von Snowsaw.ch sehr bei der Umsetzung geholfen. Auf gar keinen Fall sollte man einfach irgendwo eine sketchy Schneehöhle buddeln und darin übernachten! Die Suche nach einem geeigneten Iglu-Standort ist sehr entscheidend: Der Platz muss windgeschützt, einigermaßen eben und lawinensicher sein. Wichtig beim Bau ist, dass der Eingang über ein unterirdisch verlaufendes Zugangsloch erfolgt.
Kurzporträt Martin Seiler
Der 21-jährige Walliser Martin „Seili“ Seiler shreddet am liebsten mit seinen Buddys im Backcountry der Lauchernalp. „Powder-Freestyle“ heißt seine Devise beim Snowboarden; Spaß und die Möglichkeit, kreativ zu sein, sind sein Antrieb. Neben dem Snowboarden interessiert sich der angehende Geografie-Student primär für Barbecues, Reisen, Klettern und Biken. Seine Freundin nennt ihn übrigens Frosch – weshalb weiß er aber selbst nicht so genau.
1. Einen geeigneten Standort suchen: eben und lawinensicher. Den Untergrund flach stampfen und einen möglichst perfekt runden Kreis markieren für die erste Reihe von Blöcken.
2. Mit Schaufel und optimalerweise einer Säge die Blöcke aus kompaktem Schnee zuschneiden. Die Blöcke sollten unten leicht zu einer Seite abgeneigt sein und so groß wie möglich sein, das heißt, dass du sie gerade noch tragen kannst.
3. Die erste Blockreihe etwas nach innen geneigt anordnen. Weitere Reihen immer stärker geneigt aufsetzen. Eine Person sollte von innen die Bausteine halten, während andere Blöcke anfertigen und diese von außen anbringen. Fugen mit losem Schnee gut abdichten, was sowohl die Stabilität als auch die Dichtheit erhöht.
4. Den letzten Block etwas zu groß erstellen, von oben aufs Dach legen und von innen zuschneiden, bis er perfekt ins Loch passt. Der Block sollte leicht konisch sein, so dass er perfekt ins Loch passt und gut hält.
5. Der Eingang wird zuletzt gegraben und zwar in einem Tunnel, der tiefer liegt als die Grundfläche. Dadurch zieht die kalte (und schwerere) Luft nach draußen ab, während die Wärme drinnen bleibt.
6. Unbedingt ein kleines Lüftungsloch stechen, denn durch die Atmung erhöht sich die CO2-Konzentration im fast luftdichten Raum stark!
7. Nun braucht man es sich nur noch gemütlich zu machen. Durch die Körperwärme wärmt sich die Luft auf und im Inneren schmilzt die Schneeoberfläche an den Igluwänden, wodurch sich undichte Stellen von selbst verschließen.
Checkliste
- Beim ersten Mal Know-how vom Experten einholen (am besten mit Begleitung von einem Bergführer).
- Die Wahl des richtigen Spots ist extrem wichtig: Eben, lawinensicher und windgeschützt sollte er sein.
- Genügend Wasser und Essen mitbringen (der Körper braucht besonders viel Energie).
- Eine möglichst leichte und kompakte Kochausrüstung ist von Vorteil, genau wie ein windfester Gaskocher.
- Warme und funktionale Kleidung ist ein Muss!
- Zum Schlafen braucht man einen Expeditionsschlafsack sowie eine gute Isolationsmatte.
- Kleider über Nacht mit in den Schlafsack zum Trocknen nehmen.
- Lawinenausrüstung (LVS, Sonde, Schaufel) ist Pflicht!
- Eine Schneesäge hilft beim exakten Zuschneiden der Blöcke fürs Iglu.
- Unter Umständen ein Basiscamp errichten und Material in zwei Anläufen zum Camp bringen.
- Keinen Müll zurücklassen!
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