Er ist gross, er ist laut, er ist unumgänglich. Er ist für Snowboarder das, was für Muslime die Wallfart nach Mekka bedeutet. Er ist der AIR & STYLE! Einmal im Jahr sollten jeder Shred-Bruder und jede Shred-Schwester nach München ins Olympiastadion pilgern, um ihrem Glauben zu huldigen. Dem Glauben an den perfekten Air mit gehörig Style.
Unser Investigativreporter Clemens Dittrich hat sich unter die Jünger gemischt, um Eindrücke und Impressionen aus dem Zentrum des Snowboard-Mekkas zu vermitteln. Hier sein Protokoll.
Die Auslosung der Rider (Freitag, 30.11.07)
11:37 – Mist, zu spät! Ich stolpere durch den knallvollen Presseraum, man räuspert. Hole den Kritzelblock raus. Links von mir lehnen die Fahrer an der Wand. Christophe Schmidt kratzt sich am Kopf, Travis Rice fährt sich beidfi ngrig über den speziell gezüchteten Pornobalken auf seiner Oberlippe und Heikki Sorsa wurde scheinbar direkt aus den ’80ern hierher gebeamt. Wir Snowboarder sind schon ziemlich schräge Vögel, alle miteinander.
12:05 – Gerade geht das erste grosse Lachen durch die Reihen, da Mathieu Crépel seinen Vorrundengegner Andy Finch zieht. Der kommentiert die Paarung mit den Worten, dass es „nur recht sei, die beiden Zwerge gegeneinander antreten zu lassen“. Jetzt herrscht Stimmung im Pressezentrum!
12:16 – Ein Raunen geht durch den Raum. Kevin Pearce zieht Danny Davis, seinen Freund und Shred-Buddy. Ob die Freundschaft das aushält, dass einer den anderen heim schicken muss?
12:31 – Letzte Paarung: Travis Rice vs. ??? Travis nimmt das durch sichtige Überraschungsei in die Hand, lässt die Kugel fallen und, krach, tritt drauf! Jawohl, der Auftritt ist grosser Rock’n’ Roll, yeah! Aus den Trümmern zupft Travis seinen Gegner: Mikkel Bang. Oje, der Arme, hoffentlich nimmt er die sichere Niederlage mit Würde.
12:47 – Die Auslosung ist durch, die Karten sind verteilt, die Po si tionen besetzt und die Masse spült rüber in den angrenzenden Raum. Überall haben sich Journalisten mit ihren Kameramännern aufgebaut und halten den Ridern ihre Mikrofone ins Gesicht. „Herr Benedek, wie fühlen Sie sich jetzt?“; „Nicolas, wird es schwer werden gegen Eero?“ Presse halt. Ich fl üchte ans Buffet, lasse lecker Filterkaffee in einen Pappbecher laufen und übe Völkerverständigung mit knackigen Redakteurinnen aus südlich-sonnigen Ländern. Ach, in Italien sollte man arbeiten…
13:15 – Devun Walsh hat ebenfalls seine Beschäftigung gefunden: Tischhubschrauber steigen lassen. Knatter, knatter, das Ding hebt ab und reiht sich in den Zimmerluftraum neben Gigis und Andreas Wiigs Fluggerät ein. Die drei Luftmopeds fl iegen ziemlich orientierungslos über die Köpfe der restlichen Fahrer, die nach wie vor gutmütig ihre State ments in die Kameras lächeln. Dann ein Knall – Zusammenstoss in der Luft – und zwei Mikro-Helis trudeln vom Himmel. Mich freut’s, die Besitzer lachen sogar Tränen.
13:30 – Gehe raus aufs Spielfeld, gucke etwas beim freien Training zu, dann Rückfahrt in die City. Bin aufgeregt, in 24 Stunden geht es los!
23:54 – Bin besoffen wie zehn Kutscher. Wann immer Air & Style ist, endet der Tag davor im Vollrausch. Das ist die Aura des Contests, die Vorfreude äussert sich in exzessivem Flaschenverzehr in Münchner In nen stadtkneipen, da man allerlei Bekannte aus allen Teilen der Alpen wieder trifft. Meet & Greet @ Air & Style – da werden morgen wieder viele Glühwein „auf die Freundschaft“ getrunken werden, drum mach ich den Polnischen und schleiche nach Hause.
Der Air & Style (Samstag, 01.12.07)
10:30 – Autsch, auf meinem Kopf sitzt ein Kater so gross wie ein Panda. Dusche den Warmwasserboiler leer, grübel über die richtige Klamottenwahl – warm mit einem Mindestmass an Style – und mach mich auf den Weg in die U-Bahn.
13:00 – Noch nix los, alle Eingänge bis auf den Presseeingang sind noch zu, also starte ich einen Rundgang. Viele der Fahrer sind schon vor Ort; beliebtester Treffpunkt ist die Kaffeebar. Da haben sich bei einigen wohl ziemlich wenige Tiefschlafstunden an – ge sammelt. Vor allem die Volcom-Crew um Kevin Pearce, Gigi Rüf und Iouri Podladtchikov kämpft noch mit Augenringen – zwei Ta ge zuvor waren Motörhead in München. „Everything louder than loud enough“ – das hatten die Jungs bei Lemmys Konzert wohl zu wörtlich genommen.
13:15 – Noch immer keine besonderen Vorkommnisse, also auf zum MBM-Stand, dem Basislager, da gibt’s Glühwein for free. Mein Kater ist irgendwo auf dem Weg hierher vom Kopf gefallen, also Kelle rein in den Kochtopf, Glühwein gekeltert und angestossen.
13:30 – Es geht los, die Tore sind geöffnet. Wie Lemminge strömen die Zu schauer durch die Einlässe und verteilen sich auf den Rängen und auf dem Spielfeld. Beeindruckend.
14:35 – Zwischenstopp bei den Shapern auf der Landung. Sie sind dieses Jahr sehr zufrieden mit den Bedingungen. Vor zwei Jahren konnte man die Landung kältebedingt quasi mit Schlittschuhen runtercarven, heuer ist es deutlich milder. Nur noch wärmer sollte es nicht mehr werden, sonst verhungern die Rider in der Anfahrt und fallen wie tote Mücken in das Loch zwischen Absprung und Landung.
15:15 – Ich mach mich auf, den Contest- Olymp zu erklettern: Das Starthäuschen über der Anfahrt. Treppen, Kurve, Treppen, Kurve, Treppen – es nimmt kein Ende. Nach gefühlten 6.000 Stufen stehe ich am Gipfel, meine persönliche Mondlandung. Was für eine Aussicht! Rechts die Bühne, davor die mittlerweile gut gefüllte Publikumsarena, auf der Gegengerade tausende kleine grüne Sitze, die langsam besetzt werden, und direkt vor mir die Rampe. Von oben sieht die Kompo sition aus Fussballstadion, Musikbühne und Snowboard-Kicker aus, als hätten Gigan ten mit genmanipulierten Lego-Klötzchen gespielt. Was für ein Koloss, die Rampe, die scheinen hier einen ganzen Schiffsfriedhof an Stahl verbaut zu haben! Ich würde angesichts der schieren Grösse verweigern, desertieren und nach St. Helena auswandern.
15:25 – Neben mir bricht Hektik aus, die Rookies wedeln mit den Armen, dehnen sich und machen sich warm. In wenigen Sekunden geht es los. Fotografen sprinten zu ihrem Favoritenblickwinkel und fokussieren auf Iouri Podladtchikov. Der Vorjahreszweite steht als Erster am Start und wartet auf sein Go!
15:30 – Die Moderatoren Schwan und Bachmann machen dem Publikum jetzt ordentlich Dampf, werden lauter, lauter, LAUTER und eröffnen den Air & Style 2007! Das Publi kum schreit. „Gute Stimmung dieses Jahr!“, ruft mir Elias Elhardt zu. Ich wünsche ihm Glück. Dann droppt er in den buckligen In-Run.
15:47 – Wir sind mittendrin in der Rookie Challenge. Was für ein Niveau! 1080’s in alle Richtungen, Double Backfl ips und saube re Landungen. Würden nicht die Namen der Rookies auf der Anzeigetafel erscheinen, man könnte meinen, der Main Contest hätte schon begonnen.
16:10 – Die Rookie Challenge ist vor bei. Tim Humphreys hat gewonnen vor Wer ner Stock und Mason Aguirre, alle drei sprangen 1080’s. Ich kann mich noch zurückerinnern, als Terje Håkonsen vor Jamie Lynn und Daniel Franck im Innsbrucker Bergisel- Stadion gewann – alle drei mit 900’s! Na gut, das war vor zwölf Jahren.
16:24 – Ich steuere zum Runterkommen ans Buffet und quatsche mit Kollegen. „Hohes Niveau“, meint Alex Schmaltz. „Wie wird dann wohl erst der Haupt-Contest?!“, ergänzt Heinz Löhle. Draussen spielen sich derweil 30 Seconds to Mars die Finger wund, doch die Band ist momentan Nebensache. Erst mal muss gefachsimpelt werden.
16:42 – Ortswechsel, DC Lounge. Mads Jonsson taucht auf. Er antwortet auf die Frage, was er hier beim Air & Style machen würde, mit „Drinking“. Hmm, eigentlich sollte er doch judgen. Und ich dachte immer, die Formel lautet „Don’t drink and judge!“ Whatever!
17:00 – Schnell raus aus der Lounge, der Main Contest beginnt. Finde einen Platz zwischen Torah Bright und Chris Kröll. So, jetzt sitzen, Klappe halten, zuschauen und mitschreiben.
17:38 – Travis Rice landet einen Double Bs Rodeo Late 360° Double Grab, aber unsauber. Allein die Trickbeschreibung ist so kompliziert wie der Trick selbst. Unglaublich, die Menge jubelt.
17:39 – Mikkel Bang stellt einen Bs 1080° blitzsauber in die Landung. Harte Kost für Travis.
17:57 – Andreas Wiig versucht sich an einem Double Cork 1080° à la Benedek. Klappt nicht perfekt.
18:13 – Heikki Sorsa stickt im zweiten Versuch einen Fs 360° One-foot. Jetzt ist Feuer im Stadion!
18:30 – So, Runde eins ist vorbei und es wird Zeit für eine Zwischenbilanz. Mikkel Bang hat doch tatsächlich Travis Rice eliminiert, es ist die Überraschung des Abends. Nicolas Müller ist gegen Gigi Rüf ausgeschieden, also keine Bs 720° One-foots dieses Jahr. Und David Benedek kam weiter, ohne seinen Signature-Trick vom letzten Jahr gezeigt zu haben. Wird es also heuer ein sehr statisches Finale ohne kreative Tricks? Das muss erörtert werden, also rein an die Bierbar und das Thema mit allerlei Experten in Stammtischatmosphäre durchdiskutiert. Die Floskelkasse füllt sich, den Snowmobile Cross verpass ich, dadurch geht mir auch der Sturz des Tages fl öten: Stian Pedersen zerlegt sich mit seinem Sled beim Backfl ip! Sekunden später läuft er winkend übers Gelände.
19:15 – Vor lauter eingelösten Glühweingutscheinen strauchele ich zu spät aus den Katakomben, der zweite Heat ist schon in vollem Gange. Als ich an der Oberfl äche auftauche, packt David Benedek gerade seinen Signature Move aus. Jetzt brennt das Stadion, David hat in München Heimatbonus, die Stimmung ist wie beim Derby-Klassiker Löwen gegen die Bayern.
19:25 – Runde zwei ist vorbei, die Finalisten stehen fest. Torstein Horgmo warf Risto Mattila mit nur einem Punkt Unterschied raus, David setzte sich dank seines Double Cork 1080° gegen Heikki „Mister One-foot 360“ Sorsa durch, Kevin Pearce und Mikkel Bang stellten ihre Gegner souverän kalt.
19:31 – The Hives spielen auf und punkten mit lückenhaften Deutschkenntnissen. Sehr überzeugend und lustig.
20:39 – Stehe wieder am MBM-Stand, der Glühweinpegel muss nachgefüllt werden. Das FSX-Finale geht mir dadurch durch die Lappen. Halb so wild, die Sleds knattern zwar laut und stinken nach Benzin, sind aber nicht meine Kategorie.
20:50 – Eine La-Ola-Welle schwappt durch die Ränge, es ist Zeit fürs Snowboard- Finale.
20:53 – Mikkel Bang steht bereit… er fährt los… Switch Bs 900°… anständig gelandet… 238 von 300 möglichen Punkten.
20:55 – Kevin Pearce ist an der Reihe… droppin’ in… coming switch… Cab 1080°… perfekt gestanden… 274 von 300 möglichen Punkten.
20:57 – Torstein Horgmo kann durch einen Sieg den Vorsprung auf der TTR World Tour ausbauen… er holt Schwung… Switch Bs 1080°… mit der Hand im Schnee gelandet… trotzdem 277 Punkte… er führt. 21:00 – Nächster ist David Benedek… er versucht seinen Double Cork 1080°… und stürzt! Letzter.
21:05 – Stimmung und Fahrlevel sind jetzt ganz grosse Bundesliga. Jetzt zeigt sich, warum Antti Autti letztes Jahr sagte, dass der Air & Style der „wahrscheinlich progressivste Contest weltweit“ ist.
21:05 – Zweiter Run. Mikkel landet den Trick, steht ihn aber nicht sauber, Kevin slammt ebenfalls. Torstein stickt seinen Trick, muss aber mit der Hand nachgreifen. David verzieht die Landung seines Double Cork. Die Runde war nix, für keinen der Fahrer. Horgmo führt immer noch vor Pearce, Bang und Bene dek. Jetzt kommt alles auf den letzten Run an.
21:11 – Horgmo steht einen Fs 1260°… revertet aber in der Landung… kaum Punkte. Der mögliche Sieg liegt jetzt nicht mehr in seiner Hand.
21:17 – Kevin Pearce stellt einen Cab 1260° kerzengerade in die Landung… clean as it get’s… 286 Punkte. Höchster Score des Tages!
21:24 – Mikkel Bang… Switch Bs 1080°… gestanden wie auf Schienen… 281 Punkte, nur fünf Punkte hinter Pearce… denkbar eng… jetzt liegt es an David.
21:29 – David setzt alles auf eine Karte… Double Cork 1260°… perfekt gelandet… aber etwas überdreht… er muss reverten… Was machen die Judges..? 269 Punkte! Damit ist es fi x, die Podestplätze stehen endgültig fest.
21:30 – Im Starthäuschen über dem In- Run knattert ein Ski-Doo. Nanu, was macht der denn da oben? Joe Parsons nimmt Anlauf, jubelt mit seinem Sled bis tief in die Landung, steigt vom Schlitten und übergibt Kevin Pearce den Ring of Glory. Yeah! Ein würdiges Finale eines würdigen Events.
21:35 Ich klappe den Kritzelblock zu, er hat ausgedient. Hinter mir liegen 34 Stunden Air & Style mit literweise Glühwein, unzähligen Small Talks und 33 bedeutenden Snowboardern. Es war ein guter Event, man wird ihn im Gedächtnis behalten. Zumindest bis zum nächstes Mal…
Ergebnisliste Rookie Challenge
1. Tim Humphreys USA 249
2. Werner Stock AUT 243
3. Mason Aguirre USA 240
Ergebnisliste Pro’s
1. Kevin Pearce USA 286
2. Mikkel Bang NOR 281
3. Torstein Horgmo NOR 277
4. David Benedek GER 269
5. Heikki Sorsa FIN 267
Interview mit dem Gewinner
Kevin, du hast soeben den Air&Style gewonnen. Herzlichen Glückwunsch erst einmal! Was geht dir gerade durch den Kopf?
Der Air & Style war grossartig. Ich hatte die ganze Woche eine gute Zeit in München und es fühlt sich ziemlich cool an, den Ring of Glory zu haben. Nur tragen kann ich ihn noch nicht, er ist zu gross!
Was bedeutet dir der Air&Style?
Ein verrückter Contest! Der Kicker ist perfekt und die Fans feiern dich frenetisch. Es war schon im mer ein Ziel von mir, einmal beim Air & Style starten zu dürfen, und so war ich super gestoked, dass ich dieses Jahr eingeladen wurde.
Du musstest gleich in Runde eins gegen deinen Freund Danny Davis ran und hast ihn eliminiert. Tut er dir leid?
Das ist ein Contest und dabei geht es darum, gegen andere anzutreten und sie rauszuwerfen. Also…. hmm… nein, ich bereue nichts!
Wie fühlt man sich, in einem Fussballstadion inmitten von knapp 30.000 Fans zu springen?
Super! Die Zuschauer beim Air & Style waren gut drauf und laut. Als Fahrer ist es berauschend, so viele Menschen in der Arena zu sehen. So ein Contest kommt selten vor, deshalb war ich glücklich, dabei gewesen sein zu dürfen.
Was machst du nach dem Contest?
Ich werde auf die After-Party gehen und bis zum Abflug morgen Früh Gas geben.
Lass es krachen. Danke fürs Interview und viel Glück für die Zukunft!
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