„Anständig war ich eigentlich noch nie“, meint Andreas Wiig und schmunzelt. Ganz amüsant findet er es, wie er ohne grosse Anstrengung über all die Jahre hinweg das Bild des introvertierten, blauäugigen Norwegers vermittelt hat.
Dabei sei das eigentlich gar nie seine Absicht gewesen, Image habe ihm noch nie wirklich etwas bedeutet. Er sei nicht darauf aus, ein gewisses Bild zu vermitteln, in eine spezielle Schablone zu passen. Lieber verhalte er sich so, wie er sich im Moment gerade fühle. Dass er für die Industrie vielleicht gerade deswegen nicht interessant genug war, braucht ihn heute nicht mehr zu kümmern. Nach wirren Sponsorenwechseln ist Andreas heute eines der verlässlichsten Schiffe im Hafen seiner Gönner. Contest-Siege, herausragende Videoparts und Magazin-Footage bis zum Umfallen. Während seines Saison-Warm-up Mitte Dezember in Keystone/Colorado schaute er für euch zurück auf die Anfänge seiner Karriere und wagte den Ausblick auf den Tag, der ihm vielleicht demnächst einen X-Games-Hattrick beschert.
Andreas wieso musstest du gestern nicht mit Mikkel Bang und Freddy Austbø in die Sicherheitsklasse der Colorado Ski Patrols?
Ich habe Glück gehabt, mich haben sie nicht erwischt.
Du warst also dabei?
Ja…
Wo bleibt denn da deine Rolle als Vorbild?!
Auf der Strecke… Man darf sich eben nicht erwischen lassen! [lacht] Du kennst Mikkel und Freddy. Sie wissen manchmal noch nicht so richtig, wann genug ist. Die haben den ganzen Tag so viele Sicherheitsbestimmungen auf der Piste ignoriert wie ich in mei nem ganzen Leben; denen tut die Si cherheitsklasse nur gut! Obwohl… ich war heute wieder mit ihnen auf dem Berg und die beiden sind gefahren, wo sie wollten. Sicherheitsklasse hin oder her, noch haben sie überhaupt nichts gelernt. [lacht]
Wieso mühst du dich eigentlich mit Ski Pat rols in den USA ab, während Europa einen der besten Frühwinter seit langem geniesst?
Ich hatte letzte Woche ein Photoshoot mit Toyota hier in den Staaten und bin deswegen schon rübergekommen. Davor war ich drei Wochen in Europa für Contests und die Teamwoche mit Nitro im Schnalstal. Als ich hierher kam, lag in Colorado noch kaum Schnee. Mittlerweile liegen aber doch so an die anderthalb Meter. Das ist ganz okay. Zudem musst du mir in Europa schon erst einen Park zeigen, der einem das Gleiche bietet wie die Parks hier in Colorado.
Was gefällt dir eigentlich an den Staaten so gut?
Keine Ahnung. Es gibt nicht wirklich etwas, was mir an Norwegen nicht besser gefallen würde. Allerdings sind all meine Sponsoren hier ansässig und ich muss immer wieder in die Staaten für Photoshoots und dergleichen. Eigentlich würde ich viel lieber mehr Zeit in Europa verbringen. Ich mag die Berge und die Menschen dort. Es ist bloss schwierig, weil all die wichtigen Leute in den Staaten sitzen. Meine Heimat bleibt aber Oslo, wo meine Freunde und meine Familie leben und wo mein Eigenheim steht. Dort nehme ich ab und zu ganz gerne eine Auszeit von dem Snowboard-Zirkus.
Was ist mit deiner Wohnung in Kalifornien?
Die gibt es auch noch. Meine Freundin [Andreas ist mit der norwegischen Sängerin Marion Raven liiert; Anm. d. Red.] und ich mieten sie uns zusammen in Hollywood.
In Hollywood? Und dazu deine Popstar-Freundin? Das hört sich ziemlich glamourös an!
[lacht] Nun ja, das Dumme daran ist bloss, dass ich meistens nur dort bin, um mich von den Shoots zu erholen und abzuschalten. Für Party und Hollywood- Glamour bin ich dann meist zu müde. Im Sommer schaffe ich es schon eher, das breite Angebot an Konzerten und Shows zu nutzen. Ist schon speziell, dieses Hollywood.
Bist du dort nur Anhängsel des hübschen Popstars oder nimmt man dich als Person wahr?
Meine Freundin ist momentan im Studio und nimmt ihr neues Album auf. Sie kommt meistens erst ziemlich spät nach Hause und muss morgens wieder früh raus. Zurzeit bewege ich mich also auch in Hollywood ganz unabhängig.
So langweilig ist es, der Freund eines Pop-Sternchens zu sein?
Überhaupt nicht! [lacht] Sie weiss immer, wo die guten Konzerte statt finden. Und manchmal singt sie für mich!
Nachdem Mack Dawg Productions nun keine Filme mehr macht, werden wir dich demnächst wieder in einem Musikvideo von Marion Raven sehen?
Nein, ich denke, das eine Mal hat gereicht. [lacht] Es war auf jeden Fall lustig, ich glaube aber nicht, dass Marion und ich noch mehr solcher Combos fahren werden. Ihr Produzent kam damals auf mich zu und fragte mich, ob ich Bock darauf hätte. Ich dachte mir: „Wieso nicht?“, und willigte ein. Bei dem einen Mal wird es aber sicherlich bleiben. [checkt Andre as in „Falling Away“ von Marion Raven auf YouTube; Anm. d. Red.]
Im „InSlide“ in dieser Ausgabe findet man einige Fotos, die dich auf der Nitro-Woche im Schnalstal ausgelassen feiernd zeigen. Was ist mit dem netten, anständigen Andreas passiert?
[lacht] Ich hoffe zwar, dass ich nett bin, aber ganz so anständig war ich noch nie. Ich weiss es bloss gut zu verstecken… Ich hab so eine Art zweites Ich, das der Alkohol offensichtlich hervorbringen kann. Verdammt, ich glaube, ich habe eine gespaltene Persönlichkeit… Na ja, wenn du Team-Buddy des Italian Stallion bist, dann hast du wohl gar keine andere Wahl!
Eben. Das muss ja manchmal ganz schönanstrengend sein, als seriöse Persönlichkeit ständig inmitten solch verplanter Pseudo-Rockstars namens Snowboard-Pros zu sein…
Darüber mache ich mir eigentlich nicht allzu viele Gedanken. Ich versuche auch nicht, möglichst seriös zu sein oder so. Ich will einfach immer nur der Andreas sein, nach dem mir zu dem Zeitpunkt gerade ist. Wenn ich Bock habe mitzufeiern, dann feiere ich eben mit, und wenn mir nicht danach ist, lasse ich es sein. Ich finde es aber eigentlich ganz cool, dass die Leute langsam realisieren, dass ich durchaus auch verrückt sein kann… Wie gesagt, eine gespaltene Persönlichkeit. [lacht]
Du bist nun seit knapp zwei Jahren auf Nitro. Wie kam es damals eigentlich, dass du dich von heute auf morgen von O-Matic, das du ja mitgegründet hast, abgewendet hast?
Auf dem Papier war ich nie Mitbegründer oder Teilhaber von O-Matic. Ich war zwar ziemlich von Anfang an dabei, ansonsten hat mich aber nichts an die Firma gebunden. Was mich und die Sponsoren anging, war es damals eine ziemlich hektische Zeit. Nach nem recht mühsamen Abgang bei Jeenyus sah O-Matic für den Moment einfach nach der besten Lösung aus. Ich musste allerdings nach kurzer Zeit feststellen, dass ich dort weniger als Snowboarder, dafür aber vielmehr als Brand-Manager fungieren würde. Als Nitro auf mich zukam, war für mich sofort klar, dass ich diese Option nutzen würde. Ich kannte einige Jungs des Teams und den Teammanager und war überzeugt, dass ich gut zu ihnen passen würde.
Und dabei ist es geblieben?
Auf jeden Fall. Die zwei Jahre, seit ich bei Nitro bin, waren die besten zwei Jahre meiner Karriere. Ich würde mich, ohne zu zögern, sofort wieder für Nitro entscheiden. Entgegen vieler Gerüchte bin ich aber auch mit den Leuten bei O-Matic nach wie vor gut befreundet. Sie haben meine Entscheidung damals voll verstanden
Wenn du auf die letzte Saison zurückschaust, was war für dich persönlich so erfolgreich daran?
Ich hätte auf keinen Fall erwartet, so oft zu gewinnen. Gerade auch die X Games, ich hätte nicht im Geringsten damit gerechnet, dort nochmals Gold zu holen.
Was hattest du stattdessen erwartet?
Keine Ahnung. Ich meine, klar hoffte ich auf eine gute Platzierung, aber ich machte mir keine allzu grossen Illusionen und wollte in erster Linie einfach meinen Run runterbringen.
Dass du mit dem Run ganz weit vorne landest, war doch nicht weiter überraschend. Ist diese Bescheidenheit bei dir krankhaft?
Ich hoffe, nicht. Ich bin einfach da zu erzogen worden, nicht dick aufzutragen… Taten sprechen lauter als Worte.
Was ist mit dem X-Games-Hattrick, holst du ihn dir?
Nicht dass ich damit fest rechnen würde, aber ich werde bestimmt versuchen, die X Games ein drittes Mal zu gewinnen.
Du bereitest dich innerlich also schon auf die X Games vor, um am Ende auch mental stark zu sein?
Sicherlich. Mentale Fokussierung macht für mich einen grossen Teil des Erfolgs aus. Ich finde es aber wichtig, dabei nie die Möglichkeit aus zu schliessen, es vielleicht auch nicht zu schaffen. Sonst ist die Enttäuschung einfach viel zu gross. Deswegen konzentriere ich mich vor allem darauf, mein Bestes zu geben und damit hoffentlich Erfolg zu haben. Wenn mein Bestes zum Sieg nicht reichen sollte, dann brauche ich auch nicht enttäuscht zu sein, weil ich doch alles getan habe, was in meiner Macht stand.
Was wird denn in diesem Jahr trickmässig „dein Bestes“ sein?
Das kommt darauf an, wann dieses Interview rauskommt.
Wieso? Hast du Angst, deine Kontrahenten könnten im MBM nach lesen, was du trainierst?
[lacht] Nein, sondern eher weil es noch zu früh ist zu sagen, zu was ich in dieser Saison fähig sein werde. Wer weiss, vielleicht habe ich bis zu den X Games ja einen ganz neuen Trick erfunden… ich arbeite jeden falls daran!
Was glaubst du, wie weit das Snowboarden in technischer Hinsicht noch gepusht werden kann?
Wir kommen heutzutage sicherlich immer wieder an Punkte, an denen es schon richtig gefährlich wird, Snowboarden technisch noch voranzutreiben. Von daher habe ich manchmal das Gefühl, dass mehr nicht mehr geht. Filme wie „That’s It That’s All“ zeigen mir dann aber wieder, dass ich falsch liege und Snowboarden doch noch in unglaublich viele Richtungen vorangetrieben werden kann. Ich habe dennoch das Gefühl, dass es irgendwann nicht mehr möglich sein wird, nochmals 180° Grad mehr zu drehen. Das Potenzial des Sports liegt meiner Meinung nach eher darin, die Tricks von heute auch styletechnisch noch weiter auszureifen. Wenn es also darum geht, Snowboarden noch weiter zu pushen, dann sicherlich, was den Style und die Obstacles angeht. Wir müssen unsere Double Corks künftig eben nicht mehr über Kicker machen, die extra dafür gebaut wurden, sondern irgendwelche harten Cliffs runter.
(…)
Vor ein paar Jahren hast du in einem „Transworld“-Interview eine Gasmaske getragen, um auf unsere kaputte Natur hinzuweisen. Glaubst du, es hat sich in den Köpfen der Leute seither etwas getan?
Das war damals eine der ersten Saisons, die ich fast komplett in den Staaten verbracht habe, und es fühlte sich wirklich an, als ob sie dort drüben mehr Autos als Menschen hätten. Ich wollte mit meinem Gasmaskenfoto ein Zeichen dafür setzen, dass man durchaus auch mal Fahrrad fahren könnte. Ob es tatsächlich etwas bewirkt hat? Keine Ahnung. Vielleicht habe ich den einen oder an deren zum Nachdenken angeregt. Ich glaube, im Allgemeinen gehen die Leute doch etwas bewusster durchs Leben als noch vor ein paar Jahren. Aber ich muss mich selbst ja auch immer wieder an der Nase nehmen, weil ich wegen dem Filmen und meinem Sled noch immer einen Truck fahre. In den Staaten kommt hinzu, dass du ohne Auto echt aufgeschmissen bist. Öffentlicher Verkehr ist für die ja nach wie vor ein Fremdwort. Das ist schon ziemlich beschämend.
Du bist in eine Art Celebrity-Projekt von Save the Children involviert. Wie kam es dazu?
Ich habe irgendwann ein Blick auf mein Bankkonto geworfen und entschied, dass es an der Zeit wäre zu teilen. Nicht jeder ist so privilegiert und kann Geld mit seinem Hobby verdienen. Dafür bin ich sehr dankbar. Dies wollte ich zeigen, indem ich in eine gute Sache investierte. Daneben unterstütze ich innerhalb der SOS Kinderdörfer noch zwei Kinder in Afrika. Ich glaube, wenn man die Möglichkeit hat, solche wirklich guten Projekte zu fördern, sollte man sie nutzen. Geht auf www.savethechildren.de und www.sos-kinderdorf.de und schaut selbst, was ihr dafür tun könnt, diese Welt zu einer besseren zu machen! Wir sollten auf jeden Fall aufhören, ständig nur an uns selbst zu denken!
Danke für das Interview, Andreas!
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