Der Freerider oder Jibber?“, lautet meist die erste Frage, wenn man von Jeremy Jones spricht. Hier ist die Rede vom König des Big Mountain Riding, der Jahr ein, Jahr aus mit seinen sensationellen Lines jeden Kopf zum schütteln bringt. Der 34-jährige hat aber noch viel mehr zu bieten, als sich halsbrecherisch die Hänge hinunterzustürzen: Neben seiner Umweltschutzorganisation „Protect our winters“ arbeitet „The Jones“ der Zeit an seinem zweijährigen Filmprojekt „Deeper“ und bringt nächste Saison seine eigenen Snowboards auf den Markt. Zeit also, die Dinge mal aus Jeremys Blickwinkel zu betrachten.
Jeremy, sitzt du so kurz vor deinem Antarktis-Trip nicht schon auf gepackten Koffern?
Noch nicht wirklich, aber es wird höchste Zeit, mit dem Packen anzufangen. Ich bin schon ziemlich aufgeregt, was echt komisch ist, denn sonst kommt die Nervosität erst, wenn ich im Flieger sitze.
Erzähl uns was dich in der Antarktis erwarten wird?
Wir fahren von Ushuaia [der südlichsten Stadt Argentiniens; Anm. d. Red.] mit einem Expeditionsschiff zur nördlichen Halbinsel der Antarktis. Die Berge dort ragen quasi aus dem Meer empor und wir können direkt vom Boot aus loshiken. Auch wenn die Berge nicht viel höher als 1.500 Meter sind, haben sie bestimmt viel zu bieten. Ich bin gespannt, was uns erwartet.
Werden wir von dem Trip auch etwas in deinem neuen Filmprojekt „Deeper“ zu sehen bekommen?
In erster Linie werden die Aufnahmen für eine britische Doku dienen. Aber wenn das Riding und die Shots gut sind, binden wir sie natürlich auch in „Deeper“ ein.
Was genau können wir von „Deeper“ erwarten?
In dem Film gehen wir in die bekanntesten und am häufigsten besuchten Freeride-Mekkas und werden dort die Grenzen, die mit Schneemobilen, Helikoptern und durch Tagesmärsche gesetzt sind, überschreiten. Wir gehen tiefer ins Backcountry, weg von allem und holen uns so unsere Erstbefahrungen. Die Erfahrungen, die man sammelt, wenn man zu Fuss unterwegs ist, sind viel intensiver. Ich hoffe, dass ich Leute inspirieren kann, wieder selbst zum Freeriden zu gehen, ohne dass sie gleich einen Sled benutzen. Es ist gar nicht schwer, gute Spots zu finden; neben den Alaska-Aufnahmen stammt die meiste Footage direkt aus dem „Hinterhof“ einiger Fahrer.
Willst du mit „Deeper“ vermitteln, dass man auch ohne Heli oder Sled Spass haben kann und dabei die Umwelt weniger belastet? Oder möchtest du einfach „nur“ neue Grenzen überschreiten?
Beides! Natürlich geht es mir darum, neue Massstäbe zu setzen und meine Limits zu pushen. Seit Jahren versuche ich immer, die Grenzen des Möglichen zu erweitern. So etwas schaffst du nur mit hartem Einsatz und viel Hingabe. Zudem macht die Erkundung von neuen Dingen verdammt viel Spass. Aber natürlich ist es auch ein positives Nebenerzeugnis, wenn Kids sehen, dass man auch einen anderen, etwas umweltfreundlicheren Weg beschreiten kann.
Denkst du, dass die Leute deine Botschaft erkennen und wirklich versuchen, auch ihren „Carbon Footprint“ zu verringern, also ihre CO2-Bilanz zu verbessern?
Leider hat auch dieser Film einen „Carbon Footprint“ hinterlassen. Mit einem Trip nach Chamonix belaste ich meine CO2-Bilanz stärker als mit zwei Wochen Heli-Boarden in Alaska. Aber der Film hinter lässt auf jeden Fall weniger CO2-Fussspuren als die, in denen ich vorher mitgewirkt habe. Ich möchte mit allem, was ich tue, so umweltbewusst wie nur möglich handeln. Wir wollen mit dem Film aber nicht jedem eine Umweltbotschaft einhämmern.
Nicht zum Einhämmern, aber um auf die Probleme der Umwelt aufmerksam zu machen, hast du 2007 Protect Our Winters gegründet. Erzähl uns bitte, was hinter der gemeinnützigen Organisation steckt!
Das Ziel von POW ist, die Wintersportgemeinde im Kampf gegen den Klimawandel und die Erderwärmung zu vereinen und zu mobilisieren. Wir wollen, dass sich unsere Mitglieder in ihren Kommunen umweltbewusst engagieren, die jetzige Generation zu zukünftigen Führungspersönlichkeiten in Sachen Umweltschutz ausbilden und innovative und sinnvolle Energieprojekte ins Leben rufen und unterstützen. In erster Linie sammeln wir Geld, das zu 99 Prozent direkt wieder in Projekte gegen den Klimawandel geht. Wir gehen aber nicht los und kritisieren jeden, der einen Heli oder ein Schneemobil benutzt. Was wir sagen, ist: „Hey, es gibt einfache Wege, ein sauberes und umweltfreundliches Leben zu führen. Man muss keine grossen Opfer bringen, um einen Unterschied zu bewirken.“ Ich könnte mich jetzt selbst unter das Mikroskop legen und würde all meine Mängel sehen, aber ich versuche zumindest, meinen Fussabdruck so klein wie möglich zu halten.
Was war der Anlass für dich, POW ins Leben zu rufen?
Ich habe über die Zeit in den Bergen so viele drastische Änderungen durch den Klimawandel gesehen, es lag einfach auf der Hand, dass etwas getan werden muss. Ich wollte schon seit langer Zeit etwas tun, habe mich aber, um ehrlich zu sein, auch lange gefragt: „Wer zur Hölle bin ich eigentlich, dass ausgerechnet ich eine Umweltorganisation gründen soll?“ Aber mit all meinen Beziehungen und Verbindungen kann ich helfen, eine Wende zu starten. Man muss den Klimawandel auf lange Sicht betrachten. Können wir mit POW innerhalb eines Jahres eine Veränderung herbeiführen? Ganz sicher nicht! Aber wenn ich meine Kinder betrachte, hoffe ich, dass sie bzw. sogar ihre Kinder später auch noch eine intakte Umwelt geniessen können. Wir müssen also jetzt beginnen, etwas zu verändern. Das kann später zu grösseren Dingen führen. Nur so können wir den Ansprüchen, nächsten Generationen ein intaktes Leben zu sichern, gerecht werden.
Kannst du uns ein Beispiel geben, wohin das von POW gesammelte Geld geht und warum man online spenden sollte?
2008 und 2009 haben wir über 200.000 US Dollar sammeln können, wovon das meiste in Schulinitiativen gegangen ist. Es ist wichtig, an der Wurzel zu beginnen und Kids zum Umweltbewusstsein zu erziehen. Wir gehen direkt in die Schulen und wollen den Klimawandel auf den Lehrplan bringen. In über 1.000 Schulen kann man zum Beispiel über drei Jahre einen Kurs belegen, um über den Klimawandel und dessen Bekämpfung zu lernen. In einem anderen Projekt haben wir in drei Schulen für jeweils 25.000 Dollar Solarpaneele auf die Dächer gebaut. Jetzt statten wir mehrere Schulen an der Ostküste mit Solarenergie aus, so dass sie nicht nur sich selbst versorgen, sondern zu kleinen Kraftwerken werden und auch Energie ins Gesamt netz abgeben können. Alles Weitere zu diesen Projekten, zu den uns unterstützenden Firmen und ihren Produkten könnt ihr auch auf unserer Homepage www.protect ourwinters.org lesen und verfolgen.
Hast du das Gefühl, dass es einen Sinneswandel geben wird und mehr umweltfreundliche Snowboard-Produkte über den Ladentisch gehen?
Das kann ich nicht beantworten, aber in dem wir auf solche Produkte aufmerksam machen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Leute ein Bewusstsein dafür entwickeln. Man muss irgendwo anfangen, anstatt nur zu sagen: „Das bringt es doch eh nicht.“ Hatte gestern ein Board nur eine recyclete Base, hat es heuer noch recyclete Seitenwangen bekommen. So sind es zwar kleine Schritte, aber es findet eine stetige Entwicklung statt. Jeder Euro, der zum Kauf von umweltfreundlicheren Produkten ausgegeben wird, ist ein Zeichen in Richtung Umweltschutz. Und irgendwann sind wir hoffentlich an einem Punkt, an dem jedes Produkt um weltfreundlicher ist und wir gar nicht mehr da rüber sprechen müssen.
Glaubst du denn, dass all die Firmen mit ihrem „Eco-friendly-Products“ auch wirklich an Nachhaltigkeit interessiert sind oder es leider doch nur ein Marketing-Tool ist?
Erst einmal muss man sagen, dass selbst das umweltfreundlichste Snowboard noch immer sehr viele Schadstoffe enthält. Man sollte diese Firmen aber nicht verurteilen. Allein der Versuch, eine umweltfreundliche Kollektion oder Boards zu fabrizieren, ist besser, als wenn sie nichts machen würden. Es wird noch seine Zeit brauchen, bis wir sehen, wer es wirklich ernst meint und wer nicht. Zum Glück ist heutzutage alles sehr transparent und die schwarzen Schafe werden nicht unentdeckt bleiben.
In der Snowboard-Welt hat also der grüne Gedanke Einzug gehalten. Müssten nicht auch die Wintersportorte nachziehen?
Ich kann nicht für Europa sprechen, aber betrachtet man die Gebiete in den USA und vergleicht, wo sie vor fünf oder zehn Jahren standen und was sie heute für den Umweltschutz tun, dann sieht man schon Fortschritte. Es liegt einfach am Konsumenten, den Betreibern eines Gebiets zu sagen, was sie machen, ist gut oder eben scheisse. Geht hin und sagt ihnen, dass sie zum Beispiel Mülleimer aufstellen und den Müll trennen sollen. Im übertragenen Sinne gibt es so viele tief hängende Früchte, die nur gepflückt werden müssen.
Immer mehr Wintersportgebiete bauen beheizte Sessellifte, die noch mehr Strom verbrauchen und so in gewisser Hinsicht gegen den Umweltschutz arbeiten.
Das stimmt. Und das müssen wir den Leuten erklären und sie zum Nachdenken bringen. Wir müssen den ersten Schritt machen, und wenn wir beim vierten Schritt angekommen sind und jemand, der zuvor solche Themen nicht im Bewusstsein hatte, seinen ersten Schritt macht, haben wir gewonnen. So bringen wir den Stein ins Rollen.
Ein anderes aktuelles Thema ist der Start deiner eigenen Board-Firma Jones Snowboards. Was hat dich dazu bewogen, deinen langjährigen Sponsor Rossignol zu verlassen und deine eigene Firma zu starten?
Der Hauptgrund war, dass ich endlich Dinge komplett nach meinen Vorstellungen kreieren wollte. Leider kam es mit Rossignol zu immer grösseren Meinungsverschiedenheiten. Es war schwer, so authentische und leidenschaftliche Partner zu finden, die wie ich Snowboarden Tag und Nacht leben und atmen. Ich denke, dass von Fahrern für Fahrer geführte Firmen verdammt wichtig sind für unseren Sport. Denn wem liegt unser Sport mehr am Herzen als uns selbst? Der zweite Grund war, dass das Freeriden teilweise immer noch unter den Teppich gekehrt wird. Ich denke aber, dass gerade dieser Markt immer mehr wächst und es noch Verbesserungspotenzial gibt. Wir werden unseren Fokus also 100 Prozent auf Freeride-Boards legen.
Was können wir von Jones Snowboards erwarten? Wird es zum Beispiel neue Shapes geben?
Ja, es wird einige Neuerungen geben. Seit Jahren versuche ich, neue Aspekte in die Entwicklung meiner Boards einfliessen zu lassen. Ich kann zwar das Snowboard nicht neu erfinden, aber wenn man meine Boards über die Jahre vergleicht und es in Zukunft weiter tut, wird man die positiven Unterschiede merken. Ich glaube, es gibt grossen Spielraum für neue Shapes und Designs in Sachen Freeride-Boards, worauf ich mich konzentrieren werde.
Was gab den Ausschlag, deine Boards bei Nidecker zu produzieren?
Die Kombination aus qualitativen Produkten und einer authentischen, familiengeführten Firma, die von Anfang an in unserem Sport dabei war. Ausserdem ist Nidecker in Sachen Umweltschutz ganz vorne dabei und die neue Board-Linie wird eine der umweltfreundlichsten, die es je gegeben hat. Nidecker bestreitet einen sehr guten Weg auf diesem Sektor, den wir jetzt gemeinsam weiterführen.
Also wird auch bei Jones Snowboards Umweltbewusstsein gross geschrieben?
Wir versuchen es, wo wir können. Es wird eine enge Zusammenarbeit mit POW geben, indem ein grosser Anteil des Gewinns in die Projekte der Organisation fliessen wird. Wir werden so viele umweltfreundliche Materialien einbauen wie nur möglich. Man darf aber nicht vergessen, dass Performance und Haltbarkeit zwei der wichtigsten Aspekte sind. Wenn du ein „grünes” Snowboard baust, es aber sofort auseinander fällt und du ein neues kaufen musst, dann ist das kein „grünes“ Snowboard.
Werden deine Bretter auch in Europa erhältlich sein?
Definitiv! Wir werden sie im Februar auf der ISPO vorstellen und ab Herbst 2010 sind sie den Shops erhältlich.
Wird es ein Team geben?
Ich bin gerade dabei, den ersten Vertrag unter Dach und Fach zu bringen. Wir werden unseren ersten internationalen Pro-Rider in den nächsten Wochen vorstellen. Es werden einige Jungs auf Jones Snowboards unterwegs sein.
Wir sind schon sehr gespannt und werden unsere Augen offen halten, wann und wo das erste Jones den Powder zerpflügt. Vielen Dank für deine Zeit und viel Spass in der Antarktis!
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