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Rider

Blickwinkel: Drew Stevenson

Drew Stevenson ist die wahre Definition von „Tausendsassa“ und eine echte Ikone der Snowboard-Szene. Unter anderem war Drew lange Zeit Chefredakteur des „Onboard“-Magazins, ist Mitbegründer des „Method Mag“ und hat 2002 zusammen mit Terje Håkonsen die TTR gegründet, der er bis 2008 als Präsident und Galionsfigur diente. Und da man auf Event-Partys keine Chance hatte, um den Australier herumzukommen, wurde er auch schon mal als „Herz und Leber“ der Snowboard-Szene bezeichnet. Seit seinem Rücktritt von der TTR-Spitze widmete sich der mittlerweile 41-Jährige mit seiner Breathe Foundation dem Umweltschutz und hielt sich in Sachen Snowboard-Politik vornehm zurück. Nun aber, da die schier endlose Debatte und Diskussion um die Vergabe der Qualifikationsrechte für die Olympischen Spiele durch die Aufnahme von Slopestyle ins olympische Programm neues Feuer erhalten hat, kann auch Drew mit seiner Meinung nicht mehr hinterm Berg halten. Was er über die Diskussion denkt und wie man eine Lösung finden kann, erzählte uns Drew aus seinem Blickwinkel.

TEXT & INTERVIEW: Lars Bärenfänger

Wirst du die Olympischen Spiele in Sotschi 2014 boykottieren?
Da ich mir eigentlich alles anschaue, bei dem einer auf einem Snowboard durch die Gegend springt, werde ich mir die Snowboard-Bewerbe natürlich anschauen. Allerdings wird das aus einem sehr kritischen Blickwinkel sein. Da sehr viele Menschen, die sonst nichts mit Snowboarden am Hut haben, erreicht werden, hoffe ich, dass das entstehende Produkt auch das dort gezeigte High-Class-Snowboard-Level entsprechend wiedergibt. Die Frage, die man sich stellen sollte, ist, ob man damit zufrieden sein kann, wie das Snowboarden auf dem Weg zu bzw. in der Zeit vor den Spielen dargestellt wurde und wird. Und die Antwort darauf lautet ganz simpel: nein!

Kannst du bitte zusammenfassen, was in den letzten Monaten im Entscheidungsprozess zur Vergabe der Qualifikation für die Spiele in Sotschi 2014 geschehen ist?
Eine kurze Zusammenfassung? Oh Mann, du müsstest wissen, dass ich für kurze Statements der falsche Gesprächspartner bin… [lacht] Man müsste eigentlich bis 1996 und 1998 zurückgehen, als die FIS, die zu dem Zeitpunkt absolut kein Interesse am Snowboarden hatte, vom IOC die Rechte für die Qualifikation zu den Olympischen Spielen bekam. Die FIS sah im Snowboarden zwei Dinge: erstens einen Sport mit großem Medienpotenzial, den sie fortan kontrollieren könnte, und zweitens eine weitere Einnahmequelle. Simpel gesagt funktioniert das FIS-System durch die Finanzierung verschiedener Regierungseinrichtungen, und je mehr Disziplinen die FIS kontrolliert, desto mehr Geld fließt in ihre Tasche. Und da die FIS bereits eine lange Beziehung mit dem IOC führte, wurden sich die Karten natürlich gegenseitig in die Tasche geschoben und die damalige ISF [die International Snowboarding Federation existierte von 1990 bis 2002; Anm. d. Red.], die alle erforderlichen Strukturen aufwies und vor allem von der Core-Snowboard-Szene akzeptiert wurde, ging leer aus. Außerdem sollte doch der Auftrag des IOC heißen, Sportler zu fördern und durch Sport den Frieden in die Welt zu tragen. Aber genau das Gegenteil ist damals passiert. Die Diskussion, die seit damals geführt wird, bekam nun durch die Aufnahme der Disziplin Slopestyle ins olympische Programm eine neue Grundlage. Wieder hatte bzw. hat die FIS keine Ahnung von der Disziplin und versucht nun auf erbärmliche Weise bereits vorhandene Strukturen nachzuahmen. Und warum? Um natürlich wieder mehr Geldzuschüsse zu bekommen.

Und das, obwohl die TTR jahrelange Erfahrung im Ausrichten von Slopestyle-Contests vorweisen kann! Wie du bereits sagtest, spielen hier die Machenschaften zwischen FIS und IOC eine große Rolle, aber muss sich das wettkampforientierte Snowboarden nicht auch in irgendeiner Weise an die eigene Nase fassen?
Na ja, wir können es mal mit einem Vergleich beschreiben. Es gibt nur eine Sportart, die ein ähnliches Problem mit Undurchschaubarkeit hat wie das Contest-Snowboarden, in der es mehrere und vielleicht zu viele Verbände, Touren und Weltmeister gibt. Weißt du, welche das sein könnte?

Da fällt mir jetzt spontan Boxen ein. Zumindest gibt es dort ja mehrere Weltmeister gleicher Gewichtsklassen in den verschiedenen Verbänden. Ziemlich verwirrende Strukturen…
Richtig! Und genau das ist der Punkt: Potenzielle Medien- und Werbepartner werden durch die verwirrende Undurchschaubarkeit des Contest- Snowboardens abgeschreckt, weil sie nicht wissen, wovon sie reden sollen.

Meinst du damit, dass nicht klar ist, wer der beste Fahrer ist, und dass sie so keine Galionsfigur in den Mittelpunkt stellen können?
Genau. Wir haben einen TTR Tour Champ, einen X Games Champ, einen Dew Tour Champion, einen BGO Champion, einen FIS-Weltcup-Sieger, einen FIS-Weltmeister und ab dieser Saison noch den Gewinner der World Snowboard Championships in Oslo… Unser Sport ist so zersplittert, dass nicht einmal wir, die wir uns täglich damit beschäftigen, zu 100 Prozent sagen könnten, ob nun Peetu Piiroinen als TTR Tour Champion, Seppe Smits als FIS-Weltmeister, Sebastien Toutant als X-Games-Gewinner oder Torstein Horgmo als Dew Tour Champion der beste Slopestyle- oder Overall-Rider ist. Schauen wir uns aber Surfen an, haben wir nur einen Weltmeister, den jeder kennt.

Kelly Slater!
Genau. Aber warum wir über diese Sache reden, ist, weil die Rider die Leidtragenden an der ganzen Diskussion um mehrere Verbände und Touren sind. Dass die wirklich guten Rider die FIS nicht mögen und nicht an deren Events teilnehmen – außer es ist gerade Qualifikationssaison für die Olympischen Spiele –, ist doch schon Zeichen und Grund genug zu behaupten, dass das FIS- System bezüglich Snowboarden absolut sinnlos ist und das Snowboarden innerhalb des FIS-Systems nur existiert, um Regierungszuschüsse zu kassieren, die dann aber nicht etwa wieder ins Snowboarden investiert werden, sondern lediglich der Bereicherung dienen.

Es scheint ja leider so, dass Geld auch die Snowboard-Contest-Welt regiert. Wie sollen denn zum Beispiel Events wie die Dew Tour oder die X Games auf einen Nenner kommen, wenn dort doch zwei verschiedene TV-Stationen als Hauptsponsor und Organisator dahinterstecken?
Irgendwie müssten sich alle Events bzw. die Organisatoren an einen Tisch setzen, um dem Sport nicht zu schaden. Wäre es nicht besser, nur eine Tour zu haben und folglich auch nur einen wirklichen Champion zu haben? Wäre das nicht besser für den Sport, wenn so auch die Mainstream-Medien Bescheid wüssten, was abgeht? Wäre es dann nicht auch besser für die Fahrer?

Und Rider wie der eben erwähnte Torstein Horgmo, der momentan einer der besten Over- all-Rider ist, nehmen außerdem eh nur an sehr wenigen Contests teil, da sie die meiste Zeit damit beschäftigt sind, ihren Filmpart in den Kasten zu bekommen.
Genau das ist es, was wir damals versucht haben zu beachten, als wir die TTR ins Leben riefen. Wir haben uns hingesetzt, uns alle erdenklichen Ranking-Systeme angeschaut und versucht, uns von allen die guten Aspekte zum Vorbild zu nehmen und ins TTR-Ranking einzubauen, so dass es für alle gerecht und fair wird. So werden zum Beispiel nur die besten fünf Resultate in die Wertung aufgenommen. Bekommst du ein sechstes Ergebnis, kannst du das schlechteste streichen. Diese Idee soll bezwecken, dass Fahrer wie zum Beispiel ein Torstein Horgmo an ein paar Events teilnehmen und damit sogar oben im Ranking stehen können und trotzdem noch genug Zeit finden, ihre Videoparts zu filmen.

Eine gute Überleitung, um über den überfüllten Terminkalender der Fahrer zu sprechen.
Das beste Beispiel hierfür waren die FIS-Weltmeisterschaften in La Molina im Januar 2011 und Seppe Smits. Ich glaube, dass Seppe das Folgende genau so wiedergeben würde: Der FIS-Weltmeistertitel mag vielleicht einmal seinen Enkelkindern imponieren, aber bei seinen Core-Freunden und in der Core-Industrie ist er nicht viel wert. Dafür gibt es mehrere Gründe: Erstens ist es ein FIS-Titel und zweitens fand gleichzeitig der letzte Event der Dew Tour in Killington/Vermont statt. Wenn man nun die Fahrerlisten vergleicht, sieht man, dass die Gewichtigkeit bzw. die Qualität der Fahrer ein Übergewicht in Killington hatte. Und was ist sein Titel nun wert, wenn er nicht gegen die Besten angetreten ist? Schau, wie es zum Beispiel lange im Golf oder Tennis war: Wenn du ein Turnier gewonnen hast, bei dem Tiger Woods oder Roger Federer nicht mitgespielt haben und du sie nicht schlagen musstest, war der Titel nur noch halb so viel wert. Ich glaube, dass Seppe auch beim Event in Killington sehr gute Chancen gehabt hätte zu zeigen, dass er einer der Besten ist, aber er hatte die Chance halt nicht. Nun muss man sich fragen, gegen wen Seppe angetreten ist und wen er geschlagen hat, so dass es berechtigt wäre, dass die FIS versucht, ihn als Weltmeister an die Mainstream-Medien zu verkaufen.

Wahrscheinlich ist er gegen sehr viele chinesische Fahrer angetreten, die niemand kennt, die auf der FIS-Tour aber einen großen Teil ausmachen. Um Fakten zu bieten: Er hat den Schweden Niklas Mattson und den Finnen Ville Paumola auf die Plätze verwiesen.
Richtig. Aber kommen wir mal zum Grund, warum Seppe in La Molina und nicht in Killington war: Geld und Druck. Seppe war nach Killington zur Dew Tour eingeladen, traf aber die Entscheidung, bei der FIS-Weltmeisterschaft zu starten – nicht etwa, weil er die FIS unterstützte und an deren System glaubte, und auch nicht, weil er dachte, dass er einen anerkannten Titel gewinnen könnte. Er nahm bei der FIS teil, weil ihm der Belgische Snowboard-Verband, der gewissermaßen zur FIS gehört und über den Seppe auch bei den Olympischen Spielen starten muss, mitteilte, dass er dort teilnehmen müsste, da er sonst seine für ihn wichtigen und benötigten Zuschüsse nicht erhalten würde.

Du hast bereits erwähnt, wie überfüllt der Contest-Kalender speziell in einem olympischen Qualifikations-Winter ist. Damit wären wir beim Vorschlag der TTR für ein gemeinsames olympisches Qualifikationssytem von TTR und FIS, den die TTR Ende Oktober bei der FIS eingereicht hat.
Der Terminkalender ist einfach irrsinnig! Nicht nur, dass wir eh schon einen riskanten Sport ausüben, durch einen überfüllten Terminkalender wird noch einmal zusätzlich die Gesundheit der Fahrer aufs Spiel gesetzt. Neben dem eh schon vorhandenen Stress und Druck durch Contests sind die Rider meistens gejetlaggt, weil sie von rechts nach links über den Erdball reisen müssen. Das potenzielle Verletzungsrisiko ist so schon groß genug am Berg und wird dadurch unnötig nur noch drastischer und gefährlicher. Dieses Problem kann nur durch einen gemeinsamen Tourkalender gelöst werden. Schaut man sich den Vorschlag der TTR genau an, erkennt man sogar, dass es hier hauptsächlich darum ging, den Tourkalender zu entschärfen, indem sowohl FIS- als auch TTR- Events zur Qualifikation dienen. Ich war sogar etwas geschockt, weil die TTR der FIS in ihrem Vorschlag sehr große Zugeständnisse gemacht hat.

Was müsste deiner Meinung nach passieren, damit wir eine Lösung bekommen und das IOC und die FIS einsehen, doch endlich richtig mit der TTR zusammenzuarbeiten?
Meine Antwort ist eine Gegenfrage: Weißt du, wofür ASP und ATP stehen?

Association of Surfing Professionals und Association of Tennis Professionals.
Richtig. Und wenn du mich fragst, ist das auch die einzige Lösung fürs Snowboarden. Wir brauchen eine starke Fahrervereinigung, die aufsteht und mit einer gemeinsamen Stimme für ihre Rechte kämpft! Nur die Fahrer können einen Unterschied machen und einen Wechsel hervorrufen.

Mit der Gründung von We Are Snowboarding (WAS) wurde ein erster Schritt getan. Was müssen die Rider nun tun, damit sie gehört werden? Ein kompletter Boykott von FIS-Events und der Olympischen Spiele scheint kaum möglich.
Zuerst einmal möchte ich sagen, dass eine Entscheidung, wie sie Terje Håkonsen 1998 getroffen hat, wohl ein einmaliges Statement war und einer der wenigen Momente in der Snowboard-Geschichte, an die man sich neben dem Backside Air von Ingemar Backman und dem Tod von Craig Kelly bis in alle Ewigkeit erinnern wird. Ob nun ein Boykott seitens der Fahrer eine ernst zu nehmende Option ist? Ja! Kann das passieren, ohne dass sich die Rider zusammensetzen, ihre Bedürfnisse zusammenfassen und mit einer gemeinsamen Stimme auftreten? Nein! Und so ist die Idee hinter WAS genau die richtige, nämlich den Fahrern die Plattform einer Interessengemeinschaft zu bieten, auch wenn diese nicht jedes Verlangen von jedem einzelnen Athleten aufnehmen, sondern nur die Meinung einer großen Mehrheit vertreten kann. Die Fahrer müssen aufstehen und zeigen, dass sie nicht akzeptieren, dass der Sport, den sie und wir so lieben, einfach zum Spielball des IOC und der FIS verkommt. Kurz gesagt: Die Fahrer müssen sich vereinigen, aufstehen, streiken und wenn nötig auch boykottieren! Es geht zwar in erster Linie um die FIS, aber auch TTR, X Games, Dew Tour und alle anderen Events müssen mit den Fahrern zusammenarbeiten, an einem Strang ziehen und einen sinnvollen Terminkalender erarbeiten. Und auch wenn viel Wahres dahintersteckt, werfen Aktionen wie „Fuck FIS“ nach außen hin eher ein negatives Bild auf das Contest-Snowboarden, als dass sie helfen würden, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.

Nach der unnachgiebigen Abfuhr der FIS auf den TTR-Vorschlag scheint der Kampf für die Qualifikation für Sotschi 2014 auf kurze Sicht verloren. Denkst du, dass sich auf lange Sicht bis zu den Spielen 2018 etwas ändern kann?
Alles, was wir bräuchten, wäre, dass die Top-20-Fahrer oder die Top Four eines jeden Landes einen Boykott unterstützen würden. Das wäre ein Desaster für das IOC und die FIS und würde eine Menge schlechte Publicity hervorrufen. Diese könnte und wollte das IOC mit Hinblick auf ihre Sponsoren nicht vertragen und würde dann vielleicht sagen, dass sie keinen Bock mehr auf die Schlammschlacht der FIS hätte und dass sie die Macht über die Qualifikation an die TTR oder an eine Kombination von TTR, X Games und Dew Tour abgäbe. Am Ende muss es hauptsächlich für die Rider fair und machbar sein, denn sie sind es, die den Sport ausmachen! Das Problem ist aber, dass wir auf einer tickenden Zeitbombe sitzen und Änderungen wie diese Zeit benötigen, um sinnvoll umgesetzt zu werden. Eine Fahrervereinigung wie WAS muss nun auf die Mission gehen, um diese Änderungen ins Rollen zu bringen. Das könnte zum Beispiel passieren, indem man sagt, dass man die FIS-Regeln jetzt nur noch einmal unter einer Bedingung akzeptiert. Und diese wäre, eine Zusicherung zu erhalten, dass über einen Zeitraum von vier Jahren die Qualifikation an die TTR oder halt eine neu aufgebaute oder veränderte Qualifikationsserie übergeben wird, die von den Ridern unterstützt wird, da sie für das Contest-Snowboarden sinnvoll, effizient, praktisch und professionell ist.

Die Macht zur Veränderung liegt also in der Hand der Rider, die schnellstmöglich noch gebün- delter und einheitlicher auftreten müssen.
Richtig. Wenn wir, die komplette Snowboard- Industrie, Magazine und Fans, nicht hinter den Fahrern stehen und diese es nicht schaffen, eine gemeinsame starke Gruppe zu formen und mit vereinter, Stimme aufzutreten, brauchen wir niemandem anderes die Schuld für den Misthaufen, vor dem wir stehen, zu geben als uns selbst.

Wenn das nicht das perfekte Schlusswort war, weiß ich es auch nicht… Wir danken dir für deine aufrichtige Meinung bei diesem schwierigen Thema und hoffen, dass du der Snowboard-Gemeinde noch lange mit deinem Input erhalten bleibst!

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